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Rotzig & Rotzig

Rotzig & Rotzig

Titel: Rotzig & Rotzig
Autoren: Jörg Juretzka
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Maschinenhaus umrundete.
    Die beiden Rotzigen standen vor einem alten, krude an einen der Kamine angenagelten Briefkasten. „Habt ihr den angebracht?“
    „Ja klar. Für Abschiedsbriefe und so.“ Der eine wedelte mit einem fleckigen Briefumschlag. „Und wenn sich einer erst die Jacke ausziehen will, bevor er die Flatter macht“, sagte der andere und zeigte stolz auf einen Kleiderbügel, der von einem rostigen Nagel baumelte.
    „Wollt ihr mir erzählen, hier springen öfter Leute runter?“
    „Dauernd. Darum heißt die Bude hier ja auch Startbahn Nord. Wussteste nicht, wa?“
    „Was ist das für ein Schreiben?“ Achselzuckend reichten sie mir den Brief rüber. „Ist wohl eh für dich.“
    Der Umschlag war mit >An mein Nachfolger< adressiert. Er enthielt einen karierten DIN-A5-Bogen, ungelenk handbeschriftet mit nur einem einzigen Satz: Pass bloß auf auf die beiden Zwillinge.
    „Ihr seid Zwillinge“, sagte ich. „Das sieht man, oder?“, meinte der eine der beiden. Ich nickte. Sie waren einander zum Verwechseln ähnlich. Dieselben laufenden Nasen, dieselben für die Jahreszeit eindeutig zu dünnen langärmeligen T-Shirts, dieselben auffallend akkurat geschnittenen blonden Haare.
    „Aber zweieiige“, meinte der andere und griff sich demonstrativ an die Hose. Ich lachte.
    „Das ist unser größter Witz“, vertraute mir der Erste an. „Darüber lacht jeder.“ Ich nickte, lächelnd.
    „Schwachköpfe natürlich zuerst“, sagte der Zweite. Das wischte mir das Lächeln aus dem Gesicht und beendete auch das Nicken. Abrupt, kann man sagen. „Wie heißt ihr eigentlich?“
    „Üffes“, sagte der eine. Er hatte eine kleine weiße Narbe in der rechten Braue.
    „Sien“, der andere. Er nicht. „Und wir müssen dann mal weiter.“
    Üffes und Sien, dachte ich. Was sind das denn für Namen?
    Erst als die Stahltür hinter den beiden zuklappte, fiel mir auf, dass die Mülltüten nirgendwo zu sehen waren.
    Der Mief in der Wohnung trieb mich raus auf den Balkon. Unten schoben sie gerade den Zinksarg mit meinem Vorgänger in einen Leichenwagen. Nein, entschied ich. Ging rein und griff zum Telefon. Es gab ein Freizeichen. Gut. Zumindest das. Dann stutzte ich. Öffnete meine Hand, Fläche nach unten, spreizte die Finger. Der Hörer blieb, wo er war. Fünf Liter Sprit und ein Streichholz kreuzten den Pfad meiner Gedanken.
    In der schmalen, düsteren, fettstarrenden, vor parasitärem Leben wimmelnden Küche fand sich nicht ein Lappen.
    Schließlich wickelte ich im Bad einen Meter Scheißpapier ab, feuchtete ihn an und wischte damit am Hörer herum, bis er sich auch ohne Gewaltanwendung wieder von meiner Haut trennen ließ. Dann wählte ich eine Nummer bei der WODEGA, ein Akronym, das ich nie ganz fehlerfrei aufgedröselt bekomme. Auf alle Fälle ist WODEGA, als Teil eines Immobilienkonzerns, die Betreibergesellschaft des Wohnparks Nord. Spengler meldete sich, einer der Geschäftsführer.
    „Hören Sie“, sagte ich und überprüfte eine kunstlederne Sessellehne auf Klebrigkeit, bevor ich mich mit einer Arschbacke darauf niederließ, „Sie haben mir eine Wohnung zugesagt, und ich finde eine Müllhalde vor. Sie haben behauptet, der bisherige Hausmeister hätte von sich aus gekündigt, doch irgendwie kann ich das nicht so ganz glauben.“
    Während ich sprach, sah ich mich um, wie man das so macht. Überall, egal wohin mein Blick auch wanderte, traf er auf leere Flaschen. Braune, leere Flaschen. Mal war nur ein Hals zu sehen, mal nur ein Boden, mal eine partielle, mal eine vollständige Seitenansicht. Ich stupste eine vor mir auf dem Boden leicht an, bis das Etikett hochrollte. Portwein. Urghs. „Der Mann taugte einfach nichts, Kryszinski. Wir waren gezwungen, ihn zu entlassen.“
    „Er ist tot. Vom Dach gesprungen, gerade, als ich vor dem Haus hielt.“
    „Das ist ja furchtbar“, kommentierte Spengler in einem Tonfall, wie man ihn für >Da kann man mal sehen< verwendet. Also eher, tja, unbewegt.
    „Trotzdem sind das Verstöße gegen unsere Absprachen.
    Ich trete deshalb vom Vertrag zurück.“
    „Kryszinski, es war Ihre Idee, für die Dauer Ihrer Ermittlungen inkognito die Stelle des Hausmeisters zu besetzen. Wir haben extra für Sie alle dafür nötigen ... äh ... Vorbereitungen getroffen.“
    „Ich hatte das nur angeregt“, sagte ich. Und die gingen hin und setzten einen Typen auf die Straße, der nicht die geringste Chance hatte, jemals wieder einen Job zu finden.
    „Wie auch immer. Wenn Sie jetzt
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