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Rosenschmerz (German Edition)

Rosenschmerz (German Edition)

Titel: Rosenschmerz (German Edition)
Autoren: Hannsdieter Loy
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immer kein Geschenk für Lola. Die Zeit vor Weihnachten sollte man
abschaffen, dachte er wieder einmal, genau wie die Woche nach einem Urlaub.
    Herr Huber strich mitfühlend um seine Beine. Ottakring kraulte ihn
hinter den Schlappohren. Der achtjährige Mischlingshund sah aus wie ein Berner
Senn mit kurzem Fell. Weiße Maske, weiße Schuhe, weiße Schwanzspitze,
dunkelbraune Augen. Er hatte ihn aus dem Tierheim geholt, als er vier Jahre alt
war.
    Ottakrings Blick fiel auf die Zeitungsseite mit den Traueranzeigen,
die vor ihm lag. Er spürte, wie sich sein Herzschlag beschleunigte.

    Sympathischer Mann gewesen, der Scholl.
    »Herrgott, ich rauch doch nicht mehr, Herr Huber«, rief Ottakring
halb belustigt, halb mit Bedauern. Herr Huber war mit einer übrig gebliebenen
Rothändle-Schachtel im Maul vor ihm aufgetaucht. Ottakring nahm sie ihm weg.
Väterlich klopfte er den knochigen Schädel.
    Musste ausgerechnet der Scholl mit dem Motorrad verunglücken? Scholl
war Leiter des Rosenheimer K1
gewesen. Er schätzte den Mann sehr. Vor drei, vier Jahren hatte er mit ihm den
Fall der beiden Toten gelöst, die in einem Ausflugskahn am Chiemsee angelandet
waren. Er war ein guter Kriminaler gewesen. Und ein guter Kriminaler hinterließ
immer eine Lücke.
    »Beisetzung Freitag, 7.12.2007, 14:30 Uhr«, las
Ottakring in der privaten Todesanzeige der Familie. 14:30
Uhr in der St. Nikolauskirche. Heute. Er wusste, das war die neugotische Kirche
am Ludwigsplatz. Vor nicht langer Zeit hatte er schon einmal in dieser Kirche
einer Trauerfeier beigewohnt. Die Dame mit dem fetten weißen Labrador, der er manchmal
beim Spazierengehen am Mangfalldamm begegnet war, war gestorben. Ottakring
hatte gefunden, es gehöre sich, so jemanden zur letzten Ruhe zu geleiten.
    Im Fall Scholl war es natürlich mehr. Den hatte er nicht nur gut
gekannt. Der wird noch gefühlt haben, wie er mit seiner Maschine gegen den Lkw
gekracht ist, der ihn in der Linkskurve erwischt hat, dachte er. Aber bevor ihm
etwas wehgetan hat, wird er schon tot gewesen sein.
    Ottakring zog sich gerade an, da fuhr ihm der Schmerz ins
Kreuz. Er langte mit beiden Händen unter den Hemdkragen, um die Verspannung zu
lösen. Erfolglos. »Hab ich’s doch gesagt«, sagte er zu Herrn Huber. »Nix klappt
an so einem Tag.« Dann schlüpfte er in den einzigen Mantel, den er besaß. Einen
kamelfarbenen. »Komm mit, Herr Huber. Wir gehen zu einer Beerdigung.«
    Im Winter sind die klaren Tage die kältesten. Als
Ottakring nach draußen trat, Herrn Huber an der Leine, wurde er von gleißendem
Sonnenlicht auf weißem Schnee geblendet. Über ihm war nichts als Himmel, nur
von wenigen, hoch oben schwebenden Wolken durchzogen. Die Sonne hing über den
entfernten Gipfeln im Süden, und die Stadt lag im hellen Licht. Doch ein
gnadenloser Wind pfiff durch die Straße, und der arme Rhododendron links von
der Haustür duckte sich mit eingerollten Blättern wie ein frierendes Kind. Den
Hund ließ Ottakring im Auto. Die eine Stunde würde er’s aushalten, auch wenn’s
draußen kalt war.
    Die Kirche war brechend voll. Der Sarg stand vorn auf den Stufen zum
Hochaltar. Ottakring blieb unmittelbar hinter der letzten Sitzreihe stehen. Er
hatte sich vorgenommen, Scholls Witwe die Hand zu schütteln und ihr sein
Beileid auszudrücken. Wie sie aussah, wusste er vom Foto. Er sah sich um und
suchte nach Bekannten. Dem Rosenheimer Polizeidirektor Schuster, dem
Präsidenten aus München. Nach Chili hielt er Ausschau, seinem Patenkind. Sie
arbeitete im Rosenheimer K1.
Er fand niemanden. Nur unbekannte Gesichter.
    Bis auf eines. Das der Frau vom Dorfkramer in Neubeuern. Sie war es,
die die quietschende Kirchentür als Letzte aufgedrückt hatte. Nun stand sie mit
hechelnder Zunge neben ihm.
    »Hey«, flüsterte Ottakring. Er sah schon Schreckliches auf sich
zukommen. »Was für eine Beerdigung ist das eigentlich?«
    Im selben Augenblick hörte er den Pfarrer sagen: »Und wer hätte
gedacht, dass unsere liebe Schwester im Herrn …«
    »Na ja, die Noichl Luise halt«, sagte die Kramerin. »Ich bin nur zu
spät gekommen, weil ich im Stau gestanden bin.«
    Ottakrings Mundwinkel, die er zu einem falschen Lächeln hochgezogen
hatte, fielen nach unten. Schweißperlen schossen ihm auf die Stirn.
    »Ja, bin ich denn total bescheuert?« Er meinte zu flüstern. Doch die
letzten vier Reihen wandten sich vorwurfsvoll nach ihm um. Die Dorfkramerin
schüttelte nachsichtig ihr Haupt.
    Ottakring spürte, wie er rot wurde. Mit
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