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Roman meines Lebens: Ein Europäer vom Bosporus (German Edition)

Roman meines Lebens: Ein Europäer vom Bosporus (German Edition)

Titel: Roman meines Lebens: Ein Europäer vom Bosporus (German Edition)
Autoren: Zülfü Livaneli
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einmal abgebrannt, und manche der notdürftig verpackten, von einer Ecke Anatoliens in die nächste geschafften Sachen wirkten, als hätten sie mehrere Brände hinter sich.
    In der Küche wurden in einem Fliegenschrank geröstetes Hackfleisch, vergilbender Käse, eingelegte Oliven und dergleichen verwahrt. Daneben stand ein Wasserkrug, mit einem sauberen Tuch abgedeckt. Joghurt wurde von Straßenverkäufern erstanden, die plärrend ihre Waren anpriesen. Sie balancierten eine Tragestange auf der Schulter, an deren beiden Enden jeweils ein bedecktes Tablett hing. An der Haustür holte der Verkäufer eine Kelle hervor, mit der er den Joghurt auf den hingehaltenen Teller goss. Es war herrlich anzusehen, wie der sahnige weiße Joghurt von der Kelle herabtropfte. Auch die Honig- und Wassermelonen, die unter den Betten verstaut wurden, kauften wir bei solchen fahrenden Händlern, ebenso das Trinkwasser.
    Meine Großmutter machte wunderbare Köfte und geröstete Kartoffeln. Den Duft, den die Köfte in der ganzen Wohnung verströmten, werde ich mein Lebtag nicht vergessen. Dagegen hasste ich den Geruch von in Olivenöl gebratenen Pasteten und ergriff sofort die Flucht.
    Meine hübsche Tante Melahat mit den kastanienbraunen Augen schnitt ständig bunte Stoffe zu, saß an der ratternden Singer-Maschine und nähte und heftete und steppte. Ich sah sie eigentlich immer nur arbeiten. Da sie weder Knoblauch noch Zwiebeln mochte, rührte sie so manches Essen bei Tisch nicht an. Neben meiner Großmutter war mir Tante Melahat damals die wichtigste Person. Die beiden feinfühligen Frauen standen mir näher als mein Großvater und die eher ruppigen Onkel.
    Kurtuluş war damals ein sehr ruhiges Viertel und das dahinterliegende Topraklık erst im Entstehen begriffen. Zur Schule ging ich zu Fuß. Ich trug nicht wie die anderen Grundschulkinder eine schwarze Kittelschürze und einen weißen Kragen. Stattdessen in einem blauen, dreiknöpfigen Jackett mit dem Schulwappen auf der Brusttasche und einer grauen Hose (je nach Jahreszeit lang oder kurz) herumzulaufen hatte etwas Besonderes an sich. Vermutlich war ich in ganz Kurtuluş der Einzige, der so angezogen war; jedenfalls drehten sich die Leute auf der Straße nach mir um. Und da ich in der Schule Englisch lernte, verschaffte mir das türkische Sprichwort »Zwei Sprachen, zwei Menschen« zusätzliche Anerkennung.
    Doch was musste meine Familie nicht für Opfer bringen, um mich auf diese Schule zu schicken! Selbst meine Großmutter, die mir kaum etwas abschlagen konnte, tat sich hart, mir ein wenig Taschengeld zukommen zu lassen. Viele meiner Mitschüler holten sich mittags in der Kantine ein Sandwich, das aus altbackenen Brotscheiben und einer vertrockneten Käsescheibe dazwischen bestand und fünfzig Kuruş kostete. Es schmeckte ziemlich gummiartig, doch meine Freunde und ich fanden Gefallen an dieser neuartigen Speise. Dabei bereitete mir meine Großmutter jeden Morgen mit herrlichen Köfte und anderen leckeren Dingen belegte Brote zu. Es war aber nichts zu machen, ich schämte mich nun mal, diese vor meinen wohlhabenden Schulkameraden auszupacken. Wenn ich hartnäckig auf einem Sandwich bestand, schimpfte meine Großmutter zwar und rief: »Was hast du bloß immer mit deinem Säntwitsch? Iss doch lieber die feinen Sachen, die ich dir mitgebe!« Dann aber brachte sie es doch nicht übers Herz, mir die fünfzig Kuruş zu verweigern, die für sie keine Kleinigkeit waren.
    Wir lebten also auf engem Raum, und da von einer Rente zwei Kindern ein Studium finanziert werden musste, ließen sich keine großen Sprünge machen. Uns machte dieses bescheidene Dasein allerdings nichts aus, da zu jener Zeit alle Beamtenfamilien in Ankara so lebten. Etwas anderes wäre uns gar nicht in den Sinn gekommen. An ein Luxusleben mit Fernseher, Telefon und einem Auto vor dem Haus war gar nicht zu denken. Wenn es auch reichlich knapp herging, war man doch Vater Staat dankbar, der jeden Monat Geld überwies. Und wer ein bisschen etwas angespart hatte, spekulierte nicht etwa auf Dividenden, sondern freute sich schon, wenn er von der Bank ein Sparschwein geschenkt bekam oder hin und wieder an einer Lotterie teilnehmen durfte.
    Wenn im Sommer andere Verwandte eintrafen, mussten in der kleinen Wohnung manchmal fünfzehn Menschen und mehr unterkommen, die aufeinanderlebten wie in einem Flüchtlingsboot. Kinder mussten dann manchmal sogar auf dem Esstisch schlafen. Meine Großmutter pflegte in solchen Situationen zu
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