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Rom: Band 1

Rom: Band 1

Titel: Rom: Band 1
Autoren: Emil Zola
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mit der Peitsche an, daß das sehr weit, ganz dort drüben sei. Als jedoch der Priester auf seinem Wunsch bestand, fing er wieder gefällig zu lächeln an und schüttelte freundschaftlich den Kopf. Schön, schön, er hatte ja nichts dagegen!
    Und das Pferd trabte inmitten des Labyrinthes der engen Straßen noch rascher dahin. Nun kam eine, die von hohen Mauern ganz erdrückt wurde und wo das Tageslicht wie auf dem Grund eines Grabens schien. Dann, am Ende dieser Straße, wurde es plötzlich wieder hell, und der Wagen fuhr auf der alten Brücke Sixtus' IV. über den Tiber. Rechts und links zogen sich die neuen Quais mit all der Verheerung demolirter und dem frischen Gipsbewurf neuerstandener Häuser hin. Auch in Trastevere, auf der andern Seite, war viel niedergerissen, und der Wagen fuhr den Janiculus auf einer breiten Straße hinan, die, wie große Tafeln verkündeten, den Namen Garibaldi trug. Der Kutscher machte zum letztenmal seine gutmütig stolze Geberde, als er den Namen dieser Triumphstraße nannte.
    »Via Garibaldi.«
    Das Pferd mußte nun langsamer gehen. Pierre, von einer kindlichen Ungeduld ergriffen, wandte sich, um die sich hinter ihm ausbreitende und sich immer mehr enthüllende Stadt zu betrachten. Der Aufstieg dauerte lange, immer wieder tauchten andere Stadtteile auf, bis zu den fernen Hügeln reichend. Dann auf einmal fand er in der wachsenden Aufregung, die sein Herz klopfen machte, daß er sich die Erfüllung seines Wunsches verderbe, indem er ihn durch diese langsame, teilweise Eroberung des Horizontes zerstückelte. Und er hatte, trotz seines heftigen Verlangens, die Kraft, sich nicht mehr umzudrehen.
    Oben befindet sich eine riesige Terrasse. Dort steht die Kirche von S. Pietro in Montorio, auf der Stelle, wo, wie es heißt, der heilige Petrus gekreuzigt wurde. Der Platz ist kahl und von der heißen Sommersonne rot gebrannt, während etwas weiter hinten das klare, rauschende Wasser der Acqua Paola sprudelnd in ewiger Frische aus den drei Becken des Monumentalbrunnens strömt. Längs der Brüstung, die die senkrecht auf Trastevere herabschauende Terrasse begrenzt, ziehen sich immer ganze Reihen von Touristen hin, dünne Engländer, breitschulterige Deutsche, die in traditioneller Bewunderung gaffen und den Reiseführer in der Hand halten, den sie zu Rate ziehen, um die Monumente zu erkennen.
    Pierre sprang leicht aus dem Wagen, ließ seinen Handkoffer auf dem Sitz liegen und machte dem Kutscher ein Zeichen, daß er warten möge; dieser reihte sich neben den anderen Fiakern auf und blieb in philosophischer Ruhe auf seinem Platz sitzen, mitten in der Sonne, den Kopf gesenkt wie sein Pferd, das sich gleich ihm im voraus in das lange, gewohnte Warten ergab.
    Pierre aber stand schon in seiner engen, schwarzen Sutane, die bloßen, fieberheißen Hände nervös zusammenpressend, neben dem Geländer und schaute, schaute von ganzer Seele. Rom, Rom! Die Stadt der Cäsaren, die Stadt der Päpste, die Ewige Stadt, die zweimal die Welt eroberte, die prädestinirte Stadt des feurigen Traumes, den er seit Monaten träumte! Endlich war sie da, endlich sah er sie! Die Stürme der vorhergehenden Tage hatten die große Augusthitze vertrieben. Dieser wunderbare Septembermorgen blaute frisch von einem fleckenlosen, unendlichen Himmel hernieder. Es war ein Rom voller Lieblichkeit, ein Traum-Rom, das sich bei der klaren Morgensonne zu verflüchtigen schien. Ein feiner, bläulicher Nebel, aber kaum sichtbar, zart wie Gaze, schwebte über den Dächern der niedriger gelegenen Stadtteile, während die ungeheure Campagna, die fernen Berge, sich in einem blassen Rosa verloren. Anfangs konnte er nichts unterscheiden, wollte auch keine Einzelheiten festhalten, sondern gab sich dem gesamten Rom hin, dem lebenden Koloß, der da vor ihm lag, auf diesem von dem Staub von Generationen gebildeten Boden. Jedes Jahrhundert hatte wie durch die Kraft einer unsterblichen Jugend seinen Ruhm erneuert. Was ihn aber bei diesem ersten Erblicken am meisten packte, was sein Herz noch stärker klopfen machte, das war, daß er Rom so fand, wie er es ersehnt hatte: morgenfrisch und verjüngt, leicht und heiter, fast unkörperlich und in dieser reinen Dämmerung eines schönen Tages hoffnungsvoll einem neuen Leben entgegenlächelnd.
    Und da durchlebte Pierre, unbeweglich vor dem erhabenen Horizont stehend, die brennenden Hände noch immer fest zusammengepreßt, in wenigen Minuten die drei letzten Jahre seines Lebens. Ach, wie schrecklich war das
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