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Rolf Torring 001 - Das Gespenst

Rolf Torring 001 - Das Gespenst

Titel: Rolf Torring 001 - Das Gespenst
Autoren: Hans Warren
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Meter waren wir vielleicht vorgedrungen, da schob sich aus den gegenüberliegenden Büschen lautlos ein mächtiger Körper.

    Wir blieben sofort stehen, und ich muß gestehen, daß mir jetzt doch ein leiser Schauer über den Rücken rann. Denn der nächtliche Wanderer da vor uns, der uns jetzt ebenfalls bemerkt hatte und in höchstens vier Meter Entfernung stehenblieb, war ein mächtiger Königstiger. Und wir hatten unsere Büchsen über die Schulter gehängt, anstatt sie, wie wir es sonst stets taten, schußbereit in der Hand zu tragen. Sicher war es dieser Tiger gewesen, der vor einigen Minuten seine Beute verfehlt hatte, denn er stieß jetzt ein gereiztes Fauchen aus und zeigte hinter den zurückgezogenen Lefzen die mächtigen, blinkenden Zähne. Ich griff langsam zu meiner Büchse, aber sofort wurde das Knurren der Bestie drohender, und so verhielt ich mich, ebenso wie Rolf, völlig reglos. Wir wußten ja, daß schon mancher Mensch sein Leben vor einer großen Raubkatze gerettet hatte, wenn er ganz unbeweglich stehengeblieben war. Die hohe Gestalt des Menschen flößt fast allen Tieren einen gewissen Respekt ein.
    Und auch der unangenehme Gast da vor uns schien nicht gewillt zu sein, sich auf die beiden hohen Erscheinungen zu stürzen. Ja, wenn wir eine unvorsichtige Bewegung gemacht hätten, dann wäre er bestimmt blitzschnell in gewaltigem Satz auf uns geschnellt, aber so wußte er offenbar nicht, was er beginnen sollte. Es waren furchtbare Minuten, die wir da standen, und trotz der kalten Nachtluft fühlte ich doch den Schweiß über mein Gesicht rinnen. Endlich wandte der Tiger, wie unruhig, seinen Kopf zur Seite; schon hoffte ich, daß er jetzt kehrtmachen und wieder in den Büschen verschwinden würde, da - schob sich an derselben Stelle der Büsche ein zweiter Körper heraus,

    das Weibchen, das an Größe seinem Herrn kaum nachstand. Auch dieses blieb sofort stehen, als es uns bemerkte, doch schien es viel kampflustiger, war vielleicht auch hungriger, denn während das Weibchen mit bösem Fauchen seine mächtigen Fangzähne zeigte, zog es langsam die Hinterpranken zum Sprung ein.
    Zwar war es weiter entfernt als das Männchen, und wir hätten es vielleicht noch mit einem sicheren Schuß erlegen können, aber der Tiger schien zu ahnen, daß seine Gefährtin angreifen wollte, denn auch er setzte zum Sprung an. Ich hielt uns für verloren, und blitzschnell zogen die wichtigsten Augenblicke meines Lebens an meinem inneren Auge vorbei, schöne und schreckliche Bilder in buntem Wechsel. Und doch hob ich instinktiv die Hand zum Kolben meiner Büchse, um doch noch einen letzten, aussichtslosen Versuch zur Rettung zu wagen. Aber wie hypnotisiert starrte ich dabei auf die grünlich funkelnden Augen des Tigermännchens, die sich jetzt zu schmalen Schlitzen zusammenzogen. In den nächsten Sekunden mußte schon der Sprung geschehen.
    Da lachte Rolf kurz auf - er lachte tatsächlich, und ich glaubte einen Augenblick, daß ihn der Schreck verwirrt hätte. Aber Rolf hatte den einzigen, verzweifelten Ausweg gefunden. Mit schnellem Zucken seiner Schultern schleuderte er das Fell des schwarzen Panthers dem Tiger direkt vor die Füße.
    „Stillstehen", flüsterte er dabei.
    Die mächtige Bestie riß die Augen weit auf, und ihr Körper hob sich mit steifen Beinen. Von ihm hatten wir jetzt keinen Sprung zu erwarten, und das Weibchen glitt auch wie eine Schlange neben seinen Gebieter und beschnüffelte das schwarze Fell. Und dann - beinahe hätte ich aufgejubelt, wichen die Bestien langsam, Schritt für Schritt, die Augen immer starr auf das schwarze Fell gerichtet. Und plötzlich, dicht vor den Büschen, machten sie wie auf Kommando kehrt und verschwanden mit geschmeidigen Bewegungen zwischen den Blättern. Einige Minuten standen wir noch reglos, dann lachte Rolf wieder kurz und sagte:
    „Ich wollte sie eigentlich nur einige Sekunden aufhalten, damit wir zum Schuß kommen könnten, aber sie schienen zu ahnen, daß ihren Fellen vielleicht dasselbe Schicksal blühen könnte wie ihrem schwarzen Vetter. Na, so ist es auf jeden Fall besser. Komm, Hans, wir können jetzt unbesorgt weitergehen. Aber jetzt wollen wir doch die Büchsen lieber in der Hand tragen."
    Er hob das Pantherfell auf und überschritt ruhig die Lichtung. Ich folgte ihm mit einem großen Dankbarkeitsgefühl und mußte gleichzeitig seine Ruhe und Kaltblütigkeit bewundern, mit der er an derselben Stelle in die Büsche drang, an der die Tiger verschwunden waren.
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