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Rolandsrache

Rolandsrache

Titel: Rolandsrache
Autoren: Kirsten Riedt
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dass sie ihre Mutter zutiefst verletzt hatte, die nur ihr Bestes im Sinn hatte.
    »Oh, Mutter, so war das nicht gemeint.« Vielleicht war es wirklich an der Zeit für sie, Dinge des Haushalts zu erlernen statt Männerarbeit wie die Bildhauerei.
    Ihre Mutter ließ sich nichts anmerken, ihr Blick war unergründlich. Sie schob sich die verschwitzten Haare unter die Haube. »Zieh dein Kleid aus, bevor du mir damit alles staubig machst.«
    Anna zog sich gehorsam das Kleid über den Kopf, schließlich wollte sie keinen Streit anfangen.
    Auf dem Holzklotz, der zum Hacken und Schneiden von Nahrungsmitteln diente, lagen noch die übrig gebliebenen Strünke des Weißkohls, Möhrenstücke, Lauch und Zwiebelschalen, deren Geruch ihr in der Nase kribbelte. Ihre Mutter schien gegen derartige Empfindungen gefeit zu sein, denn selbst beim Schneiden von Zwiebeln vergoss sie keine Tränen. Normalerweise machte solche Dinge ihre Magd Thea, doch sie war schon seit Längerem bei ihrer Familie, und sie wussten nicht, wann sie zurückkehren würde.
    »Sieh mal, Kind, wenn du nicht bald heiratest, hast du keinen Mann, der das Geld nach Hause bringt und für dich sorgt. Dann kannst du dich später einem Kloster anschließen oder deinen Lebensunterhalt in einem dieser Badehäuser verdienen.«
    Entsetzt blickte sie ihre Mutter an, die offenbar genau diese Regung bei ihr hervorrufen wollte. Anna wusste, dass die Mutter recht hatte, aber sie konnte sich keinen Mann an ihrer Seite vorstellen. Ihre Gedanken wanderten zu Claas. Er war der erste Mann, den sie mochte, aber gleich heiraten und Kinder bekommen? Vor einigen Jahren hatte ihr ein junger Mann bereits seine glühende Liebe gestanden und sie gebeten, seine Frau zu werden und mit ihm wegzulaufen. Sie hatte abgelehnt. Er war ein netter Kerl gewesen, aber so sehr gemocht hatte sie ihn nicht.
    »Verstehst du das, Anna?« Ihre Mutter nahm ihr das Kleid ab und streichelte ihr über das Haar. »Wieder ganz stumpf«, schnaufte sie.
    »Verzeih, Mutter.«
    Das Kleid legte sie zu der anderen Schmutzwäsche, die einmal in der Woche gewaschen wurde. »Bürste dein Haar aus.«
    Annas Familie ging es besser als vielen anderen Handwerkerfamilien, sodass sie sogar unter dem Dach eine eigene Kammer bewohnte, in der ihr Bett aus dunklem Holz stand. Eine blank polierte Messingplatte, die ihr als Spiegel diente, lehnte am Fußende. Dahinter war der Rauchabzug, welcher aus der Küche durch ihr Zimmer lief und es so warm hielt. In ihrer dunklen Holztruhe lagen vier weitere Hauskleider und ein gutes marineblaues Kleid mit feinen Stickereien, die ihre Mutter mit viel Liebe gefertigt hatte. Dieses Kleid pflegte sie nur zur Kirche oder an besonderen Tagen anzuziehen. Anna nahm die Kopfbedeckung ab, griff sich das grüne Kleid, schlüpfte hinein und begann, ihr langes blondes Haar auszubürsten.
    Erneut schlich Claas sich in ihre Gedanken. Sie kannte ihn schon viele Jahre, und er war ihr immer wie ein Bruder gewesen, ehe er vor drei Jahren auf Wanderschaft gegangen war. Als er vor zwei Jahreswechseln zurückkehrte, hatte er sich nicht nur äußerlich verändert. Seine Schultern waren breiter geworden, und er rasierte sich nicht mehr so oft, was ihn sehr männlich aussehen ließ. Er war von der Sonne braun gebrannt gewesen, bald wie die Südländer, die sie auf den Schiffen im Hafen gesehen hatte, und seine dunkelblonden Haare waren gewachsen und sonnengebleicht. Haut und Haare hatten inzwischen wieder ihre alte Färbung angenommen, aber der Rest war geblieben.
    Obwohl es nicht ihre Absicht war zu lauschen, war sie einmal Zeugin eines Gesprächs zwischen ihm und ihrem Vater gewesen. Der Vater wollte wissen, warum Claas sich nicht langsam eine Frau nahm. Er sagte, dass es für ihn nur eine gebe und die anderen ihn nicht interessieren würden, auch wenn sich ihm schon viele Gelegenheiten geboten hätten. Anna wollte zu gern wissen, wer diese eine war, aber die beiden hatten zu ihrem Bedauern das Thema gewechselt, und so konnte sie nur ahnen, dass er Clara, die Tochter von Nachbar Wegener, meinte. Auch jetzt noch zog sich ihr Magen bei dem Gedanken zusammen, Claas könnte Clara eines Tages heiraten. Er war verschwiegener als früher, weshalb sie ihm auch das Geheimnis um diese Statue nicht entlocken konnte.
    Vor gut einem Jahr hatten die beiden Männer damit angefangen. Sie schlossen sich in der Werkstatt ein, und Anna durfte nicht, wie früher, helfen. Ihre Liebe zur Bildhauerei unterschied sie von den anderen Jungfrauen
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