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Richter 07

Richter 07

Titel: Richter 07
Autoren: Gulik
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sagte sie:
    »Der Mann kann sich wirklich glücklich preisen! Dasselbe will ich aber nicht von seinen Frauen behaupten, denn im Nu werde ich sie aus dem Hause jagen! Die Liebe eines Mannes zu teilen, daran bin ich nicht gewöhnt!«
    Mit wiegenden Hüften ging sie dem anderen Ende der Veranda zu. Sie teilte die Glyzinienblüten auseinander und verschwand. Dem Anschein nach befand sich auch dort ein Treppchen, das hinunter in den Park führte. Hinter ihr schwebte eine Wolke kostspieligen Parfüms.
    Unvermittelt ging der Duft in einem ekelerregenden Geruch von Fäulnis unter. Er schwelte aus dem Gebüsch empor, das die Veranda unten einfaßte. Der Richter blickte über das Geländer und trat gleich darauf in erschrockenem Erstaunen zurück.
    Zwischen den Büschen stand die furchterregende Gestalt eines aussätzigen Bettlers, dessen abgezehrter Körper von schmutzigen Lumpen bedeckt war. Die linke Hälfte seines verschwollenen Gesichtes bildete eine Masse triefender Schwären, in denen das Auge verschwunden war. Das andere Auge starrte den Richter bösartig an. Eine verkrüppelte Hand kam unter den Lumpen zum Vorschein. Von den Fingern waren nur die Stümpfe übriggeblieben.
    Richter Di suchte in seinem Ärmel hastig nach einer Handvoll Kupferlinge. Diese Unglücklichen mußten ja ihr elendes Leben durch Betteln verlängern. Aber gerade in diesem Augenblick verkrampften sich die blauen Lippen des Aussätzigen zu einem abstoßenden Grinsen. Er murmelte etwas, drehte sich um und verschwand unter den Bäumen.

Zweites Kapitel
    Von Schauern geschüttelt, schob Richter Di die Kupferlinge in den Ärmel zurück. Der Wechsel von der vollkommenen Schönheit einer Kurtisane zum grausigen Anblick dieses menschlichen Wracks war zu plötzlich gewesen.
    »Gute Nachrichten, Herr!« ließ sich da eine muntere Stimme hinter ihm vernehmen.
    Als sich Richter Di mit einem freudigen Lächeln umdrehte, fuhr Ma Jung aufgeregt fort:
    »Amtmann Lo ist hier auf der Insel! Drei Straßen entfernt von hier sah ich einen Trupp Polizisten neben einer großen Amtssänfte aufgereiht stehen. Ich erkundigte mich, zu welcher erhabenen Persönlichkeit sie gehöre, und bekam zur Antwort: dem Amtmann! Er hat sich ein paar Tage hier am Ort aufgehalten und steht im Begriff, zur Stadt zurückzukehren. So rannte ich gleich zurück, um Euer Gnaden zu benachrichtigen.«
    »Ausgezeichnet! Ich werde ihn hier begrüßen und mir so die Reise nach Tschin-hwa ersparen. Dann sind wir einen Tag früher daheim, Ma Jung! Machen wir schnell, damit wir ihn vor seiner Abreise noch erwischen!«
    In aller Eile verließen die beiden Männer den Roten Pavillon und langten bald am Außentor der Herberge an.
    Die von drängenden Menschenmassen erfüllte Straße war an beiden Seiten eingefaßt von grell illuminierten Restaurants und Spielsälen. Auf ihrem Weg musterte Ma Jung begierig die Balkone. Hier und da lehnten prächtig gekleidete junge Frauen über dem Geländer und schwatzten, indem sie sich mit ihren bunten Seidenfächern Kühlung zufächelten. Denn es war heiß; eine feuchte, stickige Hitze brütete allerorten.
    Schon die nächste Straße war weniger lebhaft und geräuschvoll, und bald gab es nur noch dunkle Häuser mit nur einem Lampion über der Tür. Diese zeigten verschwiegene Inschriften in kleinen Schriftzeichen, wie »Auen der Glückseligkeit«, »Stätte duftiger Anmut« und andere Bezeichnungen, mit denen die öffentlichen Häuser angedeutet wurden.
    Eilig bog Richter Di um die Ecke. Vor einer prächtigen Herberge hoben zwölf muskulöse Träger die Stangen einer geräumigen Sänfte auf ihre Schultern; ein Trupp Polizisten stand dabei. Schnell sprach Ma Jung zu ihrem Anführer:
    »Hier kommt Amtmann Di aus Pu-yang. Meldet Seine Exzellenz Eurem Herrn!«
    Darauf befahl der Anführer, die Sänfte wieder niederzusetzen. Er schob den Fenstervorhang beiseite und flüsterte mit dem Insassen.
    Die behäbige Gestalt des Amtmanns erschien in der Tür der Sänfte. Sein rundlicher Körper war in eine elegante Robe aus blauer Seide gekleidet, und auf dem Kopf saß unternehmungslustig schief eine schwarze Samtkappe. Eilfertig stieg er aus, verneigte sich vor Richter Di und rief aus:
    »Welch glücklicher Zufall führte Euch hierher auf die Paradiesinsel, älterer Bruder? Ihr seid genau der Mann, den ich dringend brauche! Wie herrlich, Euch wiederzusehen!«

    Amtmann Lo begrüßt Richter Di bei seiner Sänfte
    »Das Vergnügen ist ganz auf meiner Seite! Ich bin auf dem Rückweg
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