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Reise nach dem Mittelpunkt der Erde

Reise nach dem Mittelpunkt der Erde

Titel: Reise nach dem Mittelpunkt der Erde
Autoren: Jules Verne
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einer unlöslichen Schwierigkeit; mein Gehirn erhitzte sich, meine Augen blinzelten bei dem Blick auf das Blatt; die hundertzweiunddreißig Buchstaben schienen um mich herum zu hüpfen, wie die Silbertropfen, die in der Luft unseren Kopf umflimmern, wenn das Blut stark dahin dringt.
    Es wandelten mich Phantasiegesichte an; der Athem ging mir aus; ich bedurfte Luft. Unwillkürlich fächelte ich mich mit dem Blatt Papier, so daß seine Vorder-und Rückseite abwechselnd mir vor Augen kamen. Wie war ich überrascht, als ich bei einem solchen raschen Umwenden vollkommen lesbare Wörter zu erkennen glaubte, lateinische Wörter, z.B. »
craterem«, »terrestre
«.
    So drang auf einmal ein Lichtstrahl in meinen Geist; diese einzigen Spuren führten mich auf den Weg der Wahrheit; ich hatte das Gesetz der Chiffre gefunden. Um das Document zu verstehen, brauchte man nicht einmal quer über auf die Rückseite des Blattes zu lesen! Nein.
     

    Geographische Studien. (S. 34.)
     
    Gerade so, wie es war, gerade so, wie mir’s dictirt wurde, konnte es geläufig buchstabirt werden. Alle sinnreichen Gedanken des Professors verwirklichten sich. Er hatte Recht in Hinsicht der Zusammenreihung der Buchstaben, sowie in Hinsicht der Sprache. Um dieses lateinische Schreiben von Anfang bis zu Ende lesen zu können, bedurfte er nur noch »etwas«, und dieses »etwas« wurde mir vom Zufall gegeben.
    Natürlich war ich sehr im Gemüth ergriffen. Meine Augen wurden trübe, so daß sie mir den Dienst versagten. Ich hatte das Papier auf dem Tisch ausgebreitet. Ich brauchte nur einen Blick darauf zu werfen, um das Geheimniß in Besitz zu bekommen.
    Endlich ward ich mit Mühe meiner Bewegung Herr. Um meine Nerven ruhig werden zu lassen, legte ich mir auf, zweimal durch das Zimmer zu gehen, darauf wiegte ich mich wieder in dem großen Lehnstuhl.
    »So will ich lesen«, rief ich aus, nachdem ich aus tiefer Brust aufgeathmet.
    Ich neigte mich über den Tisch, verfolgte mit dem Finger der Reihe nach jeden Buchstaben, und las ohne anzuhalten, ohne einen Augenblick zu stocken, mit lauter Stimme den ganzen Satz.
    Aber welche Bestürzung, welcher Schrecken befiel mich! Ich stand Anfangs wie vom Schlag gerührt. Wie! Was ich eben gelernt hatte, war schon am Ziel! Ein Mensch war kühn genug, dahin zu dringen! …
    »Ah! rief ich hüpfend aus, nein! nein! Mein Oheim soll’s nicht erfahren! Er würde unfehlbar eine solche Reise vornehmen! Er würde auch diesen Genuß haben wollen! Nichts würde ihn abhalten können! Ein so entschlossener Geolog! Er würde jedenfalls hinreisen, trotz Allem! und er würde mich mitnehmen, um nimmer heimzukehren! Niemals! nie!«
    Ich war in unbeschreiblicher Aufregung.
    »Nein! nein! Das wird nicht geschehen, sagte ich mit Energie, und da es in meiner Macht steht, zu verhindern, daß meinem Tyrannen eine solche Idee in den Sinn komme, so will ich’s thun. Wenn er das Document um-und herumwendet, könnte er zufällig den Schlüssel desselben entdecken! So will ich’s vernichten!«
    Im Kamin war noch ein wenig Feuer. Ich ergriff nicht allein das Blatt Papier, sondern auch das Pergament des Saknussemm; mit fieberhaft zitternder Hand war ich im Begriff, es mit einander auf die Kohlen zu werfen, und so das gefährliche Geheimniß zu vernichten. Da öffnete sich die Thür des Zimmers und mein Oheim trat ein.
Fünftes Capitel.
Der Schlüssel des Documents.
    Ich hatte nur noch Zeit, das unglückselige Document wieder auf den Tisch zu legen.
    Der Professor Lidenbrock schien gänzlich erschöpft. Der ihn beherrschende Gedanke ließ ihm keinen Augenblick Ruhe; er hatte während seines Spazierganges offenbar die Sache durchforscht, zergliedert, alle Hilfsquellen seines Geistes erschlossen, und er kam zurück, einen neuen Gedanken in Anwendung zu bringen.
    In der That setzte er sich in seinen Lehnstuhl, ergriff die Feder und fing an, Formeln niederzuschreiben, die einem algebraischen Rechenexempel glichen.
    Meine Blicke begleiteten seine zitternde Hand; ich ließ mir nicht eine einzige seiner Bewegungen entgehen. Sollte wohl unversehens ein unverhofftes Resultat sich ergeben? Ich zitterte, doch ohne Grund, denn da die einzig richtige Verbindungsweise bereits aufgefunden war, so mußte nothwendig jedes andere Nachforschen vergeblich sein.
    Drei Stunden lang arbeitete mein Oheim, ohne zu reden, ohne den Kopf zu heben, tilgte aus, fuhr fort, radirte, fing tausendmal von Neuem an.
    Ich wußte wohl, daß, wenn er’s dahin brächte, diese
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