Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Raumstation Erde

Raumstation Erde

Titel: Raumstation Erde
Autoren: Clifford D. Simak
Vom Netzwerk:
Stille des Zimmers sahen sie einander an, während die farbigen Lichter über sie hinwegzuckten.
    »Es tut mir leid«, sagte Mary, »aber es hat keinen Sinn. Wir können uns nicht betrügen.«
    Er stand stumm und beschämt.
    »Ich habe darauf gewartet«, sagte sie. »Ich habe daran gedacht und davon geträumt.«
    »Ich auch«, sagte Enoch. »Ich glaubte nie, daß es geschehen würde.«
    Und so war es auch. Solange es nicht geschehen konnte, durfte man davon träumen. Es war romantisch, unerreichbar und unmöglich. Romantisch eben, weil unerreichbar.
    »Als sei eine Puppe zum Leben erwacht«, sagte sie, »oder ein geliebter Teddybär. Es tut mir leid, Enoch, aber du könntest keine Puppe, keinen Teddybären lieben, der plötzlich lebendig wird. Du würdest immer sehen, wie sie vorher waren, die Puppe mit dem künstlichen, aufgemalten Lächeln, den Teddybär mit seiner Seegrasfüllung.«
    »Nein!« rief Enoch. »Nein!«
    »Armer Enoch«, sagte sie. »Für dich ist es so schlimm. Wenn ich dir nur helfen könnte. Du mußt so lange damit leben.«
    »Aber du!« rief er. »Aber du! Was kannst du jetzt tun?«
    Sie hatte den Mut, dachte er, den Mut, den Dingen ins Gesicht zu sehen.
    »Ich gehe fort«, erwiderte sie. »Ich komme nicht wieder. Auch wenn du mich brauchst, komme ich nicht wieder. Einen anderen Weg gibt es nicht.«
    »Aber du kannst nicht fort«, sagte er. »Du bist genauso gefangen wie ich.«
    »Ist es nicht seltsam«, meinte sie, »was mit uns geschehen ist. Beide Opfer der Illusion.«
    »Aber du«, sagte er. »Nicht du.«
    Sie nickte ernsthaft. »Ich genau wie du. Du kannst die Puppe nicht lieben, die du gemacht hast, und ich den Spielzeugmacher nicht. Aber jeder von uns glaubte, er könne es, jeder von uns meint, wir müßten es, und wir sind schuldbewußt, elend, wenn wir sehen, daß es nicht geht.«
    »Wir könnten es versuchen«, meinte Enoch. »Wenn du nur bliebst.«
    »Und dich am Ende hassen? Schlimmer noch, du mich hassen? Laß uns lieber Schuld und Qual ertragen. Das ist besser als Haß.« Sie trat vor und nahm die Kugelpyramide.
    »Nein, nicht das!« schrie er auf. »Nein, Mary.«
    Die Pyramide glitzerte, flog durch die Luft und prallte gegen den Kamin. Die Lichter erloschen. Scherben - Glas? Metall? Stein? - klirrten auf dem Boden.
    »Mary!« schrie Enoch, in die Dunkelheit taumelnd.
    Aber niemand war da.
    »Mary!« schrie er, und der Schrei verwandelte sich in ein Stöhnen.
    Sie war fort und würde nie mehr wiederkommen.
    Auch wenn er sie brauchte, würde sie nicht wiederkommen.
    Er stand in der Dunkelheit, in der Stille, und die Stimme von hundert Jahren Leben schien ihm zuzuflüstern.
    Alles ist schwer, sagte sie. Es gibt nichts Leichtes.
    Da war das Mädchen von der Farm an der Straße und die Schönheit des Südens, die ihn vorbeimarschieren sah und Mary - für immer dahin.
    Er drehte sich schwerfällig um, tastete nach dem Tisch und schaltete das Licht ein.
    Er sah sich im Zimmer um. In der Ecke, wo er jetzt stand, war einmal eine Küche gewesen, dort wo der Kamin war, das Wohnzimmer, und alles hatte sich verändert - vor langer Zeit verändert. Und doch sah er alles, als sei es erst gestern gewesen.
    All die Tage waren vergangen und alle Menschen mit ihnen.
    Nur er war übriggeblieben.
    Er hatte seine Welt verloren. Er hatte seine Welt hinter sich gelassen.
    Aber das galt auch für alle anderen - für alle Menschen, die in diesem Augenblick lebten.
    Sie wußten es noch nicht, aber auch sie hatten ihre Welt hinter sich gelassen. Nie mehr würde sie sein wie früher.
    Man nahm Abschied von so vielen Dingen, von der Liebe, von den Träumen.
    »Leb wohl, Mary«, sagte er. »Vergib mir, und Gott sei mit dir.«
    Er setzte sich an den Schreibtisch, zog das Tagebuch heran, klappte es auf und suchte nach den Seiten, die zu füllen waren.
    Er hatte Arbeit vor sich.
    Jetzt war er bereit.
    Er hatte zum letztenmal Abschied genommen.
     
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher