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Raue See

Raue See

Titel: Raue See
Autoren: Ralph Westerhoff
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her, zerrissen von den widersprüchlichen Gefühlen, die in ihm arbeiteten. Ja, er liebte diese Frau, und wie er es einschätzte, sie ihn auch. Aber seit einer gefühlten Ewigkeit stritten sie sich nur noch. Die Anlässe waren kaum der Rede wert, Nichtigkeiten, die zum Funken wurden und das gesammelte Dynamit in ihrer Beziehungskrise mit einem Schlag zur Explosion brachten.
    Die Druckwellen hatten zerstörerische Kraft. Es war, so fürchtete er, wohl nur eine Frage der Zeit, bis von ihrer Beziehung nur noch rauchende Ruinen übrig sein würden.
    Traurigkeit übermannte ihn angesichts des drohenden Verlustes. Er hatte nie geglaubt, dass er einmal eine Frau haben würde, mit der er alles teilen konnte, bei der er so sein durfte, wie er war, mit der er sich vorstellen konnte, alt zu werden. All das verkörperte Wiebke, die er jahrelang nur angeschmachtet hatte, bis das Schicksal sie zusammenführte.
    Dieses Glück schien nun wegen vollgeschissener Windeln und durchwachter Nächte zu zerfallen. Er hörte, wie Wiebke aus dem Badezimmer kam, ihre Schritte näherten sich dem Schlafzimmer. Jonas schien endlich eingeschlafen zu sein.
    Er stellte sich schlafend, um einer erneuten Diskussion aus dem Weg zu gehen, und spürte, wie sie sich neben ihn legte. Lang war es her, dass sie ihm in einer solchen Situation noch über den Rücken gestreichelt oder einen zärtlichen Kuss in den Nacken gegeben hatte.
    Irgendwann war die Müdigkeit stärker als der Frust. Er schlief ein, und nach wenigen, viel zu kurzen Stunden riss ihn der Wecker aus dem Tiefschlaf. Übernächtigt und mit dem Gefühl, nach durchzechter Nacht einen Kater zu haben, machte er sich frisch. Wiebke schlief noch tief und fest, als er sich auf den Weg zum Gericht begab.
    Die Arbeit würde ihn ablenken, und vermutlich würde er heute ein paar Überstunden machen.
    * * *
    Yvonne war nervös wie eine Sechzehnjährige. Sie musste über sich selbst lachen, als sie zum x-ten Mal ihre Handtasche öffnete, den kleinen Schminkspiegel hervorkramte und ihr Make-up überprüfte. Ja, du bist schön genug.
    Mit viel Willenskraft unterdrückte sie den Impuls, sich eine Zigarette anzuzünden. Sie wollte bei ihrem ersten Rendezvous nicht riechen wie ein Aschenbecher.
    »Marcus R.« nannte er sich bei DateYourLove.de. Schon das zeichnete ihn aus. Er benutzte nicht so dämliche Pseudonyme wie diese vielen Idioten, mit denen sie schon gechattet hatte. Oft reagierte sie gar nicht mehr auf deren dämliches »Anstupsen«. Wer sich virtuell »chuck norris« nannte, war doch unter Garantie eher ein einen Meter fünfundsechzig großer, schmächtiger Hanswurst mit Profilneurose. Und »Schmusebär102« suchte vermutlich einen Ersatz für seine Mutter. Welcher Psychopath sich hinter »hengst04« versteckte, wollte sie lieber gar nicht wissen.
    Marcus war ganz anders. Und wie der Computer bei der Analyse ihrer Profile herausgefunden hatte, war bei ihnen beiden eine siebenundachtzigprozentige Übereinstimmung zu finden.
    Wochenlang hatten sie gechattet. Fast täglich. Yvonne hatte vorher immer geglaubt, sich online zu verlieben sei etwas für kommunikationsscheue Eigenbrötler, Soziopathen, die im wahren Leben keinen einzigen Satz unfallfrei hinbekommen. Doch das stimmte nicht.
    Wie sollte sie denn auch sonst jemanden kennenlernen? Sie war Anwaltsgehilfin in einer der vielen großen Kanzleien, die hier in Frankfurt die Bürotürme bevölkerten. Für eine Affäre mit einem der Anwälte war sie sich zu schade. Zumal sie den dort vorherrschenden Typus des gelackten Workaholics, der lieber mit Akten als mit Frauen ins Bett zu gehen schien, nicht besonders attraktiv fand.
    Die Zeiten, in denen sie sich in einer Diskothek anbaggern ließ, waren definitiv vorbei. Die Jäger wurden immer jünger, musste sie sich eingestehen. Und wer auf eine Ü-30-Party ging, konnte sich gleich ein Schild umhängen, auf dem stand: »Frustrierte Alte sucht dringend Lover.« Außerdem, mal ehrlich. Auf diesen Jahrmärkten der Eitelkeiten verkaufte man doch nur seine Haut. Um den Menschen ging es nicht.
    Das Internet machte es viel einfacher. Man konnte sich erst mal beschnuppern, gucken, ob man ähnliche Interessen hat, sich sympathisch findet. Dann konnte man Fotos austauschen und sich schließlich verabreden.
    Sie blickte auf die Uhr. Wo blieb er? Er würde sie doch nicht versetzen? Es war sein Vorschlag gewesen, dass er sie hier am Campus Westend der Universität abholte. Das sei in der Nähe seines Büros, hatte er
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