Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Rau ist die See ...

Rau ist die See ...

Titel: Rau ist die See ...
Autoren: S Hogan
Vom Netzwerk:
vom Bug bis zum Heck durchqueren, bevor wir bei deiner Kabine sind. Ach, was Bug und Heck bedeutet, weißt du aber, oder?“
    „Bug ist vorne, Heck ist hinten.“
    „Klingt nicht gerade seemännisch, ist aber richtig.“ Henry lachte. „Ansonsten sagen wir nicht links, sondern backbord. Und Steuerbord ist die rechte Seite. Und das da vor uns ist keine Treppe.“
    „Sieht aber aus wie eine Treppe.“
    „Okay, aber an Bord eines Schiffes nennt man eine Treppe Aufgang. Oder Niedergang, je nachdem, ob man nach oben oder unten will.“
    „Die spinnen, die Seeleute“, murmelte Jade vor sich hin.
    Während sie mit Henry ihr neues Umfeld erkundete, begrüßte er die Passagiere, die ihnen begegneten. Die meisten von ihnen schien er mit Namen zu kennen, was Jade verblüffte.
    „Wie machst du das?“, raunte sie Henry zu. „Dieses Schiff hat doch 900 Kabinen, oder? Wie kannst du dir die ganzen Namen merken?“
    „920 Kabinen, um genau zu sein. Ich habe ein gutes Gedächtnis. Darauf bilde ich mir nichts ein, das ist angeboren. Die Passagiere fahren darauf ab, wenn sie persönlich angesprochen werden. Je besser sie sich fühlen, desto höher ist das Trinkgeld.“
    Jade nickte und ließ die Atmosphäre der MS Kyrene auf sich wirken. Henry hatte ihr erzählt, dass der Luxusliner erst im vorigen Jahr zum ersten Mal in die See gestochen war. Entsprechend hochmodern und mondän waren Ausstattung und Kabinen.
    Da das Schiff momentan im Hafen von Oslo lag, befanden sich viele Passagiere an Land. Aber wenn sie alle wieder an Bord kamen, gliche das Kreuzfahrtschiff einer kleinen Stadt. Vom Frisör bis zum Wellness Spa gab es jegliche Annehmlichkeiten, um die zahlungskräftigen Reisenden zu verwöhnen. Ich muss hier ganz schön rotieren, wenn ich die alle unterhalten will, dachte Jade. Zum Glück gibt es auch genug Urlauber, die einfach nur feiern und chillen wollen.
    „So, da sind wir.“ Henry blieb vor einer Kabinentür stehen, zog einen Schlüssel aus der Tasche und öffnete die Tür. „Hier, den Schlüssel nimmst du am besten an dich. Unsere Kabinen sind nicht ganz so prachtvoll wie die der Passagiere, aber man kann es aushalten, finde ich.“
    Das sah Jade genauso. Nachdem sie die fensterlose Innenkabine betreten hatte, war sie froh, weil es eine Klimaanlage gab. Die Einrichtung bestand hauptsächlich aus einer gemütlich aussehenden Koje, einem modernen Spind sowie Tisch und Stuhl, die fest am Boden verschraubt waren. So etwas hatte Jade noch nie gesehen, aber bei heftigem Seegang waren hin und her rutschende Möbel vermutlich das Letzte, was man gebrauchen konnte. Eine schmale Tür führte zu ihrer eigenen Dusche. Jade war begeistert. Von einem eigenen Bad hatte sie bei ihrem letzten Animateurjob im Ferienclub nur träumen können.
    Lächelnd stellte sie ihre Reisetasche auf den Boden.
    Henry wandte sich zum Gehen. „So, dann kannst du jetzt erst mal in Ruhe auspacken. Falls du eine Frage hast …“
    Bevor er die Kabine verlassen konnte, hatte Jade ihm den Weg versperrt. „Du hast mich vorhin angelogen, das spüre ich. Das war nicht sehr nett von dir, Henry. Ich will jetzt die Wahrheit wissen. Und komm mir nicht wieder mit irgendwelchen Sprüchen, das zieht bei mir nicht. Warum hast du mich so fassungslos angestarrt?“
    Henry wurde blass. Offenbar hatte er nicht erwartet, dass sie noch einmal darauf zurückkommen würde. Und an seiner Reaktion erkannte Jade, wie richtig sie lag. Henry öffnete den Mund und schloss ihn sofort wieder. Dann blinzelte er und wich ihrem Blick aus.
    Jade hatte die Arme vor ihrer Brust verschränkt. Sie fragte sich, ob sie nicht zu hart war. Henry hatte ihr ja nichts getan. Aber sie hasste es, im Dunkeln zu tappen und sich ständig fragen zu müssen, was sich hinter ihrem Rücken abspielte.
    Henry öffnete erneut den Mund. Diesmal würde er die Wahrheit sagen, daran zweifelte Jade nicht.
    „Also gut, Jade … Du erinnerst mich an meine verstorbene Schwester, wenn du es unbedingt wissen musst!“, antwortete er wütend und sah ihr zornig in die Augen. Im nächsten Moment begann seine Unterlippe zu zittern.
    Ehe sie etwas sagen konnte, taumelte er ein paar Schritte rückwärts und ließ sich auf das Bett sinken. Vornüber gebeugt saß er da, die Hände vors Gesicht geschlagen. Seine Schultern zuckten – er weinte!
    Jade war geschockt. Damit hatte sie nicht gerechnet! Warum kann ich nicht einfach mal den Mund halten, fragte sie sich aufgebracht. Wieder einmal hatte sie gesagt, was sie
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher