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Rasheed, Leila

Rasheed, Leila

Titel: Rasheed, Leila
Autoren: Rueckkehr nach Somerton Court
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dachte, im Mondlicht wäre es hell genug, um ihn zu lesen …« Sie stockte. Wie idiotisch, ihn an den Artikel zu erinnern.
    »Ich bin aufs Deck gekommen, um mir die Sterne anzusehen«, sagte Ravi und tat, als hätte sie überhaupt nichts Dummes gesagt. »Haben Sie gewusst, dass alle einen Namen haben, Lady Ada?«
    »Natürlich weiß ich das …«, setzte sie an, verstummte aber wieder, als er sie am Arm fasste und zur Reling führte. Ein paar Augenblicke lang schrumpfte Adas Welt auf den warmen Druck seiner Hand an ihrem Ellbogen zusammen. Ein Schauer durchlief sie, der nichts mit der kühlen Meeresbrise zu tun hatte. Das ist furchtbar ungehörig , tadelte sie sich. Zugleich aber war es das Interessanteste, was ihr auf der ganzen Reise passiert war.
    Ravi deutete zum Himmel hinauf. Adas Blick folgte seinem Finger zu drei hellen Sternen, die so perfekt in einer Reihe standen wie Königliche Leibgardisten. »Orion«, sagte er. Sein Finger zeichnete den Sternenumriss eines Hünen nach, der sich auf seine Keule stützte. »Der große Jäger.« Ada erinnerte sich, wie sie in der Bibliothek ihres Vaters in Kalkutta unter dem Schreibtisch gekauert und Übersetzungen von Aesop und Ovid gelesen hatte, während draußen die Affen in den Bäumen schnatterten und der lange, heiße Nachmittag verstrich, begleitet vom ununterbrochenen Rascheln der Pankha, des von einem Boy betätigten Fächerwedels.
    »Nach seinem Tod versetzten ihn die Götter in den Himmel, um ihn für seine Jagdkunst zu ehren«, sagte sie.
    »Ja, so erzählen es die alten Griechen«, stimmte er ihr zu. »Aber wir kennen diese Sterne als den Hirschen – Mriga.«
    »Ich wusste nicht, dass die Sternbilder auch indische Namen haben.«
    »Ja, die alten Inder waren große Astronomen.«
    Sein Finger fuhr einen anderen Umriss nach, und Ada war starr vor Staunen, als die Sterne des Orion sich zur Form eines silbernen Hirschen umzugruppieren schienen. »Mriga verfolgt seine eigene Tochter, die schöne Rohini – diesen Stern hier, den die westlichen Astronomen Aldebaran nennen. Aber die Götter zürnten ihm wegen dieses Frevels und schossen mit Isus Trikanda auf ihn, dem dreigliedrigen Pfeil, den Sie als den Gürtel des Orion bezeichnen.«
    Ada schaute schweigend zu den Sternen hoch. Sie funkelten wie ferne Diamanten. Sie hätte nie gedacht, dass es über die Sternbilder noch so viel Neues zu erfahren gäbe. Dieser junge Mann wusste viel mehr, als sie jemals wissen würde.
    »Es muss schön sein, ein Mann zu sein«, kam es ihr unwillkürlich über die Lippen.
    Ravi zog eine Augenbraue hoch.
    »In Ihrem Fall glaube ich nicht, dass es eine Verbesserung bedeuten würde.«
    Ada schüttelte den Kopf, obwohl sie sich ein Lächeln über das Kompliment nicht verkneifen konnte. »Wenn ich als Junge zur Welt gekommen wäre, dann hätte ich Bildung genossen. Es gibt so vieles, was ich nicht weiß.«
    »Merkwürdig, dass sich eine junge Dame darüber beschwert«, sagte er. Die Ironie war in seine Stimme zurückgekehrt. »Die meisten sind ganz glücklich in ihrer Unwissenheit.«
    Das fand Ada wiederum haarsträubend, und bevor sie sich bremsen konnte, platzte es aus ihr heraus: »Zufällig möchte ich auch nach Oxford.« Sie fing seinen entgeisterten Blick auf.
    Ach, was kümmerte sie das? Sie würde ihn nie wiedersehen. Es war ein so wunderbares Gefühl, frei heraus von ihrem Herzenswunsch zu sprechen. Und in seinem Gesicht war neben Verblüffung fast auch eine Spur Bewunderung zu lesen. Er sah umwerfend gut aus. Sie fand diese Unterhaltung zunehmend aufregender.
    »Ich hoffe, es klingt nicht selbstsüchtig, wenn ich Ihnen viel Erfolg wünsche.« Ada hatte kaum Zeit, die Schmeichelei zu begreifen, da redete er schon hastig weiter: »Ich muss allerdings zugeben, dass ich überrascht bin. Ihren Vater habe ich so verstanden, dass Sie dieses Jahr debütieren sollen, und da dachte ich, dass Sie wahrscheinlich nichts als Kleider und Bälle im Kopf haben.«
    »Da täuschen Sie sich. Ich habe nichts als Sokrates und Euklid im Kopf.«
    Er lachte. »Als wir uns begegnet sind, habe ich Sie für die perfekte junge Lady gehalten. Wie ich sehe, sind Sie das keineswegs.« Als er ihren Gesichtsausdruck sah, lächelte er verschmitzt. »Verstehen Sie mich nicht falsch. Ich glaube, es gibt echte Ladys und perfekte Ladys. Bei perfekten Ladys dreht sich alles um Handschuhe und Fächeretuis. Echte Ladys sind …«
    »Sind was?«
    »Sind wie Sie.«
    Ada war hingerissen und entsetzt zugleich; noch nie
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