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Rachedurst

Rachedurst

Titel: Rachedurst
Autoren: J Patterson
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warf.
    Aber ich will lieber weitererzählen. Ich drückte das Telefon mit gewölbter Hand fest an mein Ohr, damit mir kein Wort entging. Im Flughafen herrschte reges Treiben, und der größte Lärm dröhnte vom Nachbar-Gate herüber, wo sich einhundert Männer mit sauber gestutzten Bärten und in Dishdashas, den strahlend weißen, fießenden Gewändern, versammelt hatten.
    Und dann war da noch ich.
    Ein Meter fünfundachtzig mit strubbeligem braunem Haar, ausgebleichten Jeans und einem noch ausgebleichteren Polohemd. Gene Simmons mit vollem Kiss-Make-up und laut aus dem Koran lesend wäre auch nicht mehr aufgefallen.
    Courtney holte tief Luft. »Erinnerst du dich an Dwayne Robinson?«, fragte sie. Natürlich erinnerte ich mich, das wusste sie ganz genau.
    »Du meinst den Dwayne Robinson, der die Yankees – meine Yankees – die World Series gekostet hat? Dieses wahnsinnige Schwein? Dieses unergründliche Rätsel?«
    »Nach zehn Jahren hegst du immer noch einen solchen Groll? Du bist tatsächlich ein Baseball-Narr.«
    »Absolut. Auch in hundert Jahren könnte ich nicht vergessen … oder verzeihen«, schnaubte ich.

    Was soll ich sagen? Seit meinem fünften Lebensjahr, als mich mein Vater in Newburgh zu meinem ersten Spiel mitgenommen hatte, war ich begeisterter Fan der Bronx Bombers. Wir saßen ganz oben auf der Tribüne, etwa fünf Kilometer vom Spielfeld entfernt, so dass ich die typischen weißen Trikots mit den Nadelstreifen gar nicht erkennen konnte, aber das war mir egal. Seitdem kamen Yankee-Nadelstreifen aus meinen Adern, wenn ich blutete. Ja, ja, ich weiß, das ist idiotisch.
    »Wenn ich’s mir recht überlege, ist es vielleicht doch eine schlechte Idee«, räumte Courtney ein. »Flieg nach Paris, Nick.«
    »Was willst du damit sagen? Worauf willst du hinaus? Warum schiebst du mich jetzt nach Paris ab?«
    Sie hielt mich mit der Antwort eine Weile hin. »Er will mit dir ein Interview machen.«
    Ich hatte das abstruse Gefühl gehabt, dass sie genau das sagen würde, war aber trotzdem überrascht, als sie es tat. Sehr überrascht. Dwayne Robinson war der J. D. Salinger der Baseball-Welt, seit er auf spektakuläre Weise für alle Spiele gesperrt worden war. In seiner letzten Stellungnahme an die Presse hatte er verkündet: »Ich werde nie wieder mit einem von euch reden.« Die letzten zehn Jahre hatte er Wort gehalten.
    Zu meinem Glück ändern sich die Dinge. Das war toll. Das würde die bisher beste Geschichte meiner Karriere werden. Und ein Traum würde wahr werden.
    »Courtney, du vollbringst echt Wunder. Wie hast du ihn zu einem Interview überredet?«, wollte ich wissen.
    »Ich wünschte, es wäre mein Verdienst«, gestand sie ein. »Aber ich habe gestern nur den Anruf von Robinsons Agent entgegengenommen.«

    »Der Typ hat noch einen Agenten? Das ist für sich gesehen schon verwunderlich.«
    »Ja, da soll sich mal einer einen Reim drauf machen. Vielleicht hoffen sie, dass er sich wieder als Sportler etabliert. Vielleicht ist das der Grund, warum er mit dir reden will.«
    »Ich würde nicht zu viel erwarten«, erwiderte ich. »Er ist mittlerweile weit über dreißig. Hat seit Jahren nicht gespielt.«
    »Aber genau das könnte seinen Wunsch nach einem Interview erklären, oder? Er rückt mit der Sprache heraus, rückt die Sache gerade … es wäre ein erster Schritt in Richtung eines Comebacks«, überlegte sie. »Vielleicht nicht auf dem Spielfeld, aber zumindest in der Öffentlichkeit.«
    »Aber wenn das der Fall ist«, witzelte ich, »hätte er sich dann nicht für ein Fernsehinterview entschieden?«
    Kaum hatte ich die Worte ausgesprochen, wusste ich auch schon die Antwort. Dwayne Robinson, die »große, schwarze Hoffnung aus Harlem« und einstiges Linkshänder-Ass der Yankee-Werfer, litt unter anderem unter akuter Sozialphobie. Während er das Spielfeld unter den Blicken von fünfundfünfzigtausend schreienden Fans auf geniale Weise beherrschte, brachte er bei einem Zweiergespräch kaum ein Wort heraus. Besonders nicht vor laufender Kamera.
    »Das hatte ich fast vergessen«, fügte ich hinzu. »Der Typ war ja wie eine wandelnde Litfaßsäule für Antidepressiva.«
    »Bingo«, stimmte Courtney zu. »Robinsons Agent hat mir nämlich erzählt, er habe Angst, sein Klient könnte seine Meinung ändern. Deswegen hat er bereits einen Termin für euch beide zum Mittagessen vereinbart. Du und Dwayne, Dwayne und du. Kuschelig, hm?«
    Langsam wurde die Sache spannend. »Wann?«, fragte ich.
    »Morgen«,
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