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Rachedurst

Rachedurst

Titel: Rachedurst
Autoren: J Patterson
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Wüstenluft schlug uns entgegen und verbrannte mir beinahe das Gesicht, als wir die Straße oder zumindest das erreichten, was in diesem gottverlassenen Teil der Welt als Straße galt – eine holprige Fahrspur. Der Sand spritzte von unseren Reifen, als wir schlingernd dem Zitrusbaum auswichen, der es geschafft hatte, die erbärmliche Hitze und die Dürre zu überleben.
    Habe ich schon erwähnt, dass die Scheinwerfer nicht eingeschaltet waren? Willkommen beim Ray Charles Grand Prix.
    »Wie schlagen wir uns?«, rief Alan zu mir herüber. »Haben sie uns entdeckt? Oder kannst du sie sehen?«
    Wir saßen zwar dicht nebeneinander, mussten aber trotzdem schreien, um uns zu verständigen. Ein Jagdfugzeug, das die Schallmauer durchbrach, war bestimmt leiser als der Motor dieses Jeeps.
    »Selbst wenn sie uns nicht sehen, zu überhören sind wir jedenfalls nicht«, rief ich zurück. »Ich sehe noch niemanden.«
    Ich hatte meine Hausaufgaben über die Dschandschawid gemacht, bevor ich aus den Staaten hierherkam. Sie waren die Miliz der arabischen Muslime in Khartum, der sudanesischen Hauptstadt, und bekämpften und töteten seit langem die afrikanischen Muslime, unter anderem wegen der Landverteilung. Das Blutvergießen war unbarmherzig und vor allem einseitig, weshalb es bei uns unter dem Stichwort Völkermord gehandelt wird.
    Doch auf meinem bequemen Sofa in Manhattan Artikel
und ein paar Bücher über die Dschandschawid zu lesen war eine Sache. Das hier vor Ort war etwas ganz anderes.
    Ich drehte mich nach hinten, wo der aufgewirbelte Dreck die Sicht noch mehr vernebelte. In dem Moment spürte ich, wie die Luft um mich herum explodierte, als eine Kugel an meinem Ohr vorbeisauste. Gütiger Himmel, das war knapp.
    »Schneller, Alan!«, fehte ich. »Wir müssen schneller fahren! Oder geht das nicht?«
    Alan nickte mir zu, die Augenlider zu Schlitzen gepresst, um in der Dunkelheit und den Staubwolken etwas erkennen zu können.
    Ich hingegen dachte über meinen vorzeitigen Tod nach, indem ich die nicht abgehakten Punkte auf meiner Aufgabenliste zählte: einen Pulitzer-Preis erringen; Saxophonspielen lernen; mit einem Enzo Ferrari über den Pacific Coast Highway fahren.
    Ach ja, und endlich den Mut aufbringen, einer bestimmten Frau in meiner Heimat zu sagen, dass ich sie mehr liebte, als ich je hatte zugeben wollen – auch mir selbst gegenüber.
    Was könnte ich sagen, was nicht einer meiner sechs Lieblingsautoren, John Steinbeck, bereits herausgefunden hatte? Vielleicht, dass auch die besten Von Mäusen und Menschen ausgearbeiteten Pläne scheitern?
    Moment mal!
    Apropos Pläne. Alan, der Arzt am Lenkrad, verfolgte offensichtlich einen solchen Plan.
    »Wir brauchen etwas Schweres!«, erklärte er.
    Etwas Schweres? »Zum Beispiel?«, fragte ich.
    »Ich weiß nicht. Schau hinten nach, auf der Ladefäche«, wies er mich an und reichte mir seine Taschenlampe. »Aber bleib unten! Ich will nicht schuld sein, wenn du dabei draufgehst.«

    »Keine Sorge, das will ich auch nicht, Alan!«
    Als hätte noch ein Ausrufezeichen gefehlt, prallte eine Kugel vom metallenen Überrollbügel ab. Pling!
    »Ich meinte, du sollst weit unten bleiben!«, ermahnte mich Alan.
    Ich umfasste den dicken Gummigriff der Taschenlampe und schlängelte mich zum voll beladenen Rücksitz durch. Von dort aus spähte ich in den Ladebereich, sah aber nur ein paar leere Wasserfaschen, die wie Springbohnen umherhüpften.
    Ich wollte Alan gerade die schlechte Nachricht überbringen, als ich etwas Schimmern sah, das in der Nähe des Ersatzrades hing: ein Kreuzschlüssel. Ja!
    Aber war er schwer genug? Ich hatte keine Ahnung, da ich nicht wusste, wozu Alan ihn brauchte.
    Ich reichte ihn nach vorne, wo Alan ihn prüfend in der Hand wog. »Der reicht«, stellte er fest und schaltete die Scheinwerfer ein. »Jetzt halte das Lenkrad fest. Sehr fest, Nick!«
    Ich kletterte auf den Beifahrersitz zurück und griff zum Lenkrad hinüber, während Alan seinen linken Fuß hob und sich den Turnschuh herunterriss. Ich konnte gerade noch das Nike-Logo erkennen.
    »Ich bin gleich wieder da«, sagte er.
    Gleich wieder da? Wohin willst du, Doc? Was hast du vor? Lass mich nicht allein, Kumpel.

3
    Alan umklammerte den Kreuzschlüssel wie einen Schlagstock, als er unters Lenkrad tauchte. In der anderen Hand hielt er seinen Turnschuh. Ich versuchte zu erkennen, was er dort unten trieb, hätte allerdings eher darauf achten sollen, worum er mich gebeten hatte  – das Lenkrad ruhig zu
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