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Rabenmond - Der magische Bund

Titel: Rabenmond - Der magische Bund
Autoren: Jenny-Mai Nuyen
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riskanter.
    »Aber es ist gefährlich. Und wir könnten erwischt werden.« Kajan blickte nervös weg.
    »Du traust dich nicht.«
    »Und du?«
    »Ich schon.«
    »Du spinnst.« Das hatte Mion gesagt. Obwohl Saffas Freundschaft durchaus ihre Reize hatte, waren seine Streiche meistens erst im Nachhinein amüsant. Sehr spät im Nachhinein. Wenn die blauen Flecken geheilt und alle Strafpredigten längst wieder vergessen waren.
    »Stellt euch mal vor, wir fangen eine Schlange oder so was. Was meint ihr, wie stark der Atem von einem Tier dieser Größe ist? Wir würden den Himmel und das Paradies sehen, ich sag’s euch.« Nachdenklich nippte Saffa an seinem verdünnten Wein und schob ihn im Mund hin und her. »Wenn wir ein großes Tier fangen, könnten wir die ganze Nacht lang schweben. Weißt du noch, Kajan, der Atem der Kröte, die wir damals gefangen haben? Mann, das war der beste Ritus, den wir je erlebt haben. Wir haben Sachen gesehen -«
    »Ja, hast du schon hundertmal erzählt«, erinnerte sie ihn ungeduldig. Die Krötengeschichte erwähnte er jedes Mal, wenn sie Ritus spielten oder darüber sprachen. Dass er und Kajan gewagt hatten, den Atem eines so großen Tieres in sich aufzunehmen, und dass es sie beide fast den Verstand gekostet hätte, darauf war er unheimlich stolz.
    »Ich sage bloß«, fuhr er fort, »dass es längst mal Zeit wäre, was Größeres auszuprobieren. Diese öden Würmer sterben und schon ist ihr Atem verpufft. Wie lange sind wir eben geschwebt? Eine Minute?«
    »Es war nur ein Wurm, geteilt durch drei«, murrte Mion. »War Glück, dass wir zu dieser Jahreszeit überhaupt einen gefunden haben.«
    »Ich sage, wir jagen uns was Großes. Verdammt, seid nicht so langweilig! Oder willst du die ganze Nacht hier rumsitzen wie ein Bettelweib, Kajan?«
    Bevor Kajan in die Verlegenheit kam, antworten zu müssen, entgegnete Mion: »Wieso fragst du nur ihn? Meinst du, ich langweile mich nicht?«
    Saffa grinste sie durch seine wirren Zöpfe an. Er wusste, dass er sie überzeugt hatte.
    Also stahl Kajan Bogen und Pfeile aus der Hütte seines Vaters. Das erste fahle Tageslicht schwamm im Himmel, als sie die Ruinen verließen und die Hügel am Fluss überquerten, die das Armenviertel von den Wäldern trennten.
    Fast eine Stunde lang waren sie durch das Unterholz geschlichen, ohne auf Leben zu stoßen. Und dann hatten sie den Fuchs entdeckt. Das hieß, sie waren sich nicht einmal sicher gewesen, dass es wirklich ein Fuchs war: Im verschneiten Dickicht hatten sie nur das rötliche Fell ausmachen können. Aber jetzt spielte es sowieso keine Rolle mehr, in welcher Gestalt der Drache gewesen war.
    Mion hatte noch nie davon gehört, dass jemand zufällig einen Drachen um ein Leben brachte. Niemand war so verrückt, das Hohe Volk anzugreifen. Wer es doch tat, war ein Rebell und kämpfte für die feindlichen Menschenreiche, die an der südlichen Grenze von Wynter für Unruhen sorgten. Drachen waren mit mindestens neun Leben so gut wie unverwundbar. Kein Mensch konnte sich ihnen stellen, denn sie waren den Menschen überlegen, so wie den Tieren, dem Leben und sogar dem Tod.
    Das lernte jedes Kind in Wynter: Die Drachen waren mächtig und sie waren nicht anzuzweifeln. Lange vor Mions Geburt, als die Länder in Krieg und Chaos zu versinken drohten, tauchte das Hohe Volk auf und brachte Wynter Frieden. Unter ihrer Führung musste niemand die Tyrannei eines Menschen fürchten. Denn schließlich lag es in der Natur des Menschen, zu lieben - und wer liebte, konnte nicht gerecht sein. Die Drachen aber hatten keine Gefühle, nur reinen Verstand, und der schloss jede Ungerechtigkeit aus.
     
    Selten hatte Mion sich so gefreut, die Steinhütte ihrer Eltern zu sehen, die von den Ruinen ringsum halb erdrückt und halb zusammengehalten wurde. An den meisten Tagen kam sie ihr wie ein Kessel vor, in dessen brodelnde, atemlose Enge sie immer wieder zurückkehren musste. Jetzt konnte sie kaum erwarten, die Tür hinter sich zu schließen und sich in ihrem Bett zu verkriechen.
    In der kleinen Stube, die als Küche und Werkstatt diente, herrschte friedliche Dunkelheit. Nur aus dem Ofen drang ein Glutschimmer und umschmiegte das Spinnrad ihrer Mutter und die Stiege, die hinauf zu den Betten führte. Mion wusste, wie man die Sprossen lautlos erklomm. Auf Zehenspitzen umging sie das Bett ihrer Eltern, schlüpfte unter dem Leinenvorhang hindurch und zog ihre beiden löchrigen Wollumhänge aus, die vor Frost ganz steif waren. Darunter trug sie
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