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Rabenblut drängt (German Edition)

Rabenblut drängt (German Edition)

Titel: Rabenblut drängt (German Edition)
Autoren: Nikola Hotel
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mit seiner blauen Hand auf eine Stelle vor uns deutete. Marek hielt den Strahl der Taschenlampe in die angegebene Richtung, und mir blieb mein letzter Atemzug im Halse stecken.
    »Ein Wolf!«, entfuhr es mir. Anscheinend kannte der Schäfer dieses Wort sogar auf Deutsch, denn er nickte heftig.
    Marek trat über das Blattwerk hinweg und leuchtete dem Wolf direkt in die Augen. Leblose, bernsteinfarbene Augen - wie furchtbar! Das Tier war augenscheinlich tot. Ich bemerkte einen mittelgroßen Hund, der halb unter dem Wolf begraben war. Marek schien ihn genau im selben Moment gesehen zu haben, denn er feuerte weitere Fragen ab. Es sah aus, als hätten die Zwei miteinander gekämpft, bevor der Schuss abgegeben worden war.
    Wo war nur dieser verfluchte Bauer, der Marek angerufen hatte? Und was hatten diese qualvollen Geräusche zu bedeuten?
    Wenn beide Tiere tot waren, und daran bestand kein Zweifel, konnte ich mir nicht erklären, woher diese Laute kamen. Mit dem schwachen Strahl der Lampe kreiste ich um die Tiere. Da hörte ich es wieder: ein Stöhnen - ein bitteres, leidvolles Stöhnen, als ob sich der Boden schmerzvoll wand. Suchend ließ ich den Lichtstrahl weiter wandern und sah etwas Weißes aufblitzen.
    »Oh mein Gott!«
    »Was ist?«, rief Marek alarmiert aus. Sein Lichtkegel suchte den meinen, und ich ließ meine Hand schockiert sinken.
    Dort war ein Mann.
    Seine weiße Haut leuchtete in der Dunkelheit. Er hockte in seltsam gekrümmter Haltung auf dem Waldboden, sein Oberkörper glänzte. Ich hatte nur einen kurzen Blick auf seine verzerrte Gestalt werfen können, und trotzdem war unverkennbar, dass er schwer verletzt sein musste.
    War das dieser ominöse Bauer, der Marek angerufen hatte? Oder irgendein Gehilfe dieses Schäfers, der gerade wild gestikulierte?
    Hilflos sah ich mich nach Marek um. Ein entsetzter Fluch von ihm, und er war mit wenigen Schritten bei dem Verletzten. Aber als Marek eine Hand nach ihm ausstrecken und ihn an der Schulter berühren wollte, wich dieser vor ihm zurück. Ein grollendes Geräusch brach aus ihm heraus, und er hob abwehrend eine Hand.
    Der Schein meiner Lampe berührte kurz die Stelle, an der ich das Gesicht des Mannes vermutete, doch ich sah nur einen wilden Wust verschwitzter Haare, bevor ich den Lichtstrahl irritiert sinken ließ.
    Der Körper des Mannes bebte. Und dieser Anblick stockte den Blutfluss, den mein Gehirn zum Denken brauchte.
    »Hol die Wolldecke aus dem Auto!«, befahl eine Stimme nahe meinem Ohr. Mein Kopf versuchte angestrengt, einen Sinn in diesem Satz zu erkennen.
    »Schnell!«
    Ich riss mich von diesem grausigen Bild los und stolperte zurück in Richtung Auto. Wolldecke. Logisch. Der Mensch musste fürchterlich frieren.
    Mit der Decke im Arm eilte ich zurück. Marek machte keine Anstalten sie mir abzunehmen, und ich kam mir blöd vor, so tatenlos herumzustehen. Also ließ ich sie auseinanderfallen, um sie dem Mann um die gekrümmten Schultern zu legen. Da sah ich plötzlich zwei Dinge, die mich erschrocken aufkeuchen ließen:
    Eine riesige Fleischwunde entstellte den Arm des Mannes und offenbarte eine rotblutende, ausgefranste Masse, wie ich sie sonst nur bei gerissenem Wild zu sehen bekam. Und ich sah, dass der Verletzte etwas in seinen Händen hielt. Einen blauschwarzen Schemen.
    Nein, ein Vogel!
    Der Kopf des Tieres baumelte in unnatürlicher Haltung herab. Mir wurde erst heiß und dann kalt.
    Marek redete auf den Mann ein, dessen Gesicht durch Haare und Bart beinahe vollständig verdeckt wurde, bekam aber keine Antwort. Der Verletzte ließ nur ein kehliges Geräusch hören, und mit Entsetzen erkannte ich, dass es ein unterdrücktes Schluchzen war. Jetzt wurde mir auch das Seltsame an dieser Situation bewusst: Nicht der tote Wolf hatte mich so schockiert oder die Nacktheit dieses Mannes. Es war das Entsetzen darüber, dass der Verletzte gar keine körperlichen Schmerzen zu spüren schien. Dass es nicht die Verwundung war, die ihn peinigte, sondern eher der Schmerz um das tote Tier, das er so fürsorglich auf seine Knie gebettet hatte.  
    »Wir müssen ihn sofort ins Krankenhaus bringen«, erklärte Marek. »Bis wir dem Rettungswagen die Wegbeschreibung verständlich rübergebracht haben, ist der Mann verblutet. Aber wie kriegen wir ihn nur dazu, das Vieh loszulassen?«
    Der Mann machte bei diesen Worten eine so ruckartige Bewegung der Abwehr, dass ich beinahe sicher war, er hatte Marek genau verstanden.
    »Wir nehmen das Tier mit«, flüsterte ich und
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