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Quarantaene

Quarantaene

Titel: Quarantaene
Autoren: authors_sort
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eine einzige zweispurige Straße. In seiner Mitte, gleich neben einer teilweise umbauten Reihe von Geschäften, die als der »Mallway« bezeichnet wurde, befand sich ein elliptischer Ring von zehngeschossigen Betongebäuden – Hubble Plaza. Hier wurde die Interpretationsarbeit der Blind-Lake-Einrichtung durchgeführt. Die Plaza, mit ihren schmalen Wappenfenstern und dem umzäunten, grasbewachsenen Park, war das Gehirn der Anlage. Das schlagende Herz lag eine Meile östlich von der bewohnten Stadt, in einem unterirdischen Bau, über dem sich zwei gewaltige Kühltürme in die kalte Herbstluft erhoben.
    Offiziell war dieses Gebäude das Computerzentrum von Blind Lake, aber gemeinhin wurde es Eyeball Alley oder Alley oder auch schlicht das Auge genannt.
    Charlie Grogan arbeitete als Chefingenieur in der Alley, seit sie vor fünf Jahren hochgefahren worden war. An diesem Abend machte er Überstunden, sofern man es als »Überstunden machen« bezeichnen kann, wenn jemand gewohnheitsmäßig noch am Arbeitsplatz bleibt, auch wenn die Tagschicht schon längst nach Hause gegangen ist. Es gab natürlich auch eine Nachtschicht und eine zuständige Aufsicht führende Ingenieurin (Anne Costigan, deren Fähigkeiten er zu respektieren gelernt hatte). Aber eben diese Entlastung von seiner offiziellen Wachsamkeit war es, die ihm die Arbeit nach Feierabend so teuer machte. Er konnte sich dem Papierkram widmen, ohne Unterbrechungen befürchten zu müssen. Besser noch, er konnte nach unten in die Hardware-Räume oder die O/BEK-Galerie gehen und sich in nichtoffizieller Funktion der Praktikertruppe zugesellen. Er fühlte sich einfach wohl im Betrieb.
    An diesem Abend war er endlich dazu gekommen, ein bestimmtes Antragsformular auszufüllen, und nun wies er seinen Server an, es am nächsten Morgen abzuschicken. Er blickte auf seine Armbanduhr. Zehn vor neun. Bei den Jungs im Magazin war jetzt eine kleine Pause fällig. Nur mal kurz vorbeischauen, schwor sich Charlie. Dann nach Hause, um Boomer, seinen schon betagten Hund, zu füttern, und anschließend vor dem Zubettgehen vielleicht noch ein paar Downloads zu gucken. Der ewige Kreislauf.
    Er verließ sein Büro und führ mit dem Fahrstuhl zwei Ebenen tief unter die Erde. Die Alley war abends ruhig. Niemand begegnete ihm auf den meeresgrünen unterirdischen Fluren. Zu hören waren nur seine Schritte und das Piepen des Transponders in seinem Ausweisschild, als er in die gesperrte Zone überwechselte. Spiegeltüren erinnerten ihn in unangenehmer Weise an sein Alter – im letzten Januar war er achtundvierzig geworden –, führten ihm die schleichende Krümmung seines Rückgrats und den über den Gürtel quellenden Bauch vor Augen. Ein grauer Haarkranz hob sich von seiner dunklen Haut ab. Sein Vater war ein hellhäutiger Engländer gewesen, vor zwanzig Jahren vom Krebs hinweggerafft; seine Mutter, eine sudanesische Immigrantin und Sufischülerin, hatte ihn nicht einmal um ein Jahr überlebt. Mehr als je zuvor ähnelte Charlie heutzutage seinem Vater.
    Er machte einen Umweg durch die O/BEK-Galerie – wenn es auch, ähnlich wie im Fall der »Überstunden«, wahrscheinlich nicht korrekt war, von einem »Umweg« zu sprechen, denn dies war eine der festen Stationen seines gewohnheitsmäßigen abendlichen Spaziergangs.
    Die Galerie war aufgebaut wie ein OP-Hörsaal ohne Studentenbänke: eine ringförmige, geflieste Halle, im inneren Kreis mit versiegelten Glasfenstern ausgestattet. Die Fenster blickten auf eine zwölf Meter tiefe runde Kammer. Auf dem Boden dieser Kammer, angeschlossen an Säulen mit supergekühlten Gasen und überwölbt von Batterien von Leuchtröhren und Überwachungsgeräten, standen die drei riesigen O/BEK-Zylinder. Im Innern jedes Röhrenzylinders befanden sich zahllose mikroskopisch dünne Halbleiterscheiben aus einer Gallium-Arsen-Verbindung, in Helium gebadet bei einer Temperatur von minus 233 Grad Celsius.
    Charlie war Ingenieur, kein Physiker. Er konnte die Maschinen warten, die die Zylinder in Betrieb hielten, aber den grundlegenden Prozess, der dort am Wirken war, verstand er bestenfalls in Bruchstücken. Ein »Bose-Einstein-Kondensat« war ein hochgradig geordneter Materiezustand, und die BEKs schufen verschränkte Elektronen, die sogenannten »Exzitone«, und diese Exzitone wiederum fungierten als Quantentore, um einen absurd schnellen und empfindlichen Rechner zu bilden. Alles, was über diese Reader’s Digest-Skizze hinausging, überließ er den sehr ernsthaften
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