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Quarantaene

Quarantaene

Titel: Quarantaene
Autoren: authors_sort
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rüstete die drei Journalisten mit Zugangsabzeichen zum Anstecken aus und winkte sie durch das Tor.
    Und dann waren sie drinnen, so unkompliziert, wenn man von den wochenlangen Verhandlungen zwischen der Zeitschrift und dem Energieministerium absah.
    Vorerst sah man nichts als eine sanft hügelige Grasfläche, völlig gleichartig der zuvor durchquerten, nur getrennt durch Maschendrahtzaun und Stacheldraht. Aber es war ein Übergang in nicht nur bildlichem Sinne; es lag in ihm, wenigstens für Chris, etwas entschieden Zeremonielles. Dies war Blind Lake – praktisch ein anderer Planet.
    Er blickte zurück, als der Transporter Geschwindigkeit aufnahm, sah, wie das Tor mit einer, wie er sich – viel später – erinnern sollte, schrecklichen Endgültigkeit zuglitt.

 
Zwei
     
     
    Es gab tatsächlich einen See in Blind Lake, hatte Tessa Hauser gelernt. Sie dachte darüber nach, während sie, ihrem langen Schatten auf dem strahlend weißen Gehsteig folgend, von der Schule nach Hause ging.
    Blind Lake – der See, nicht die Stadt – war ein schlammiger Sumpf zwischen zwei kleinen Hügeln, voll mit Teichkolben, wilden Fröschen und beißfreudigen Schildkröten, Reihern, kanadischen Gänsen und stehendem grünem Wasser. Mr. Fleischer hatte der Klasse davon erzählt. Zwar wurde das Ganze als See bezeichnet, aber eigentlich war es ein Sumpfgebiet, uraltes, im steinigen, porösen Boden gefangenes Wasser.
    Blind Lake, der See, war also in Wirklichkeit gar kein See. Für Tess lag darin eine gewisse Logik, denn Blind Lake, die Stadt, war eigentlich in Wirklichkeit auch keine Stadt. Es war ein nationales Laboratorium, vom Energieministerium in Gänze auf die grüne Wiese gebaut, wie eine Filmkulisse. Das war der Grund, warum die Häuser, die Geschäfte und die Bürogebäude so spärlich gesät und so neu waren und warum sie so abrupt anfingen und auch wieder aufhörten in dieser weiten und leeren Landschaft.
    Tess ging ganz für sich. Sie war elf Jahre alt und hatte noch keine Freunde an der Schule gefunden; aber da war ein Mädchen namens Edie Jerundt (von den anderen Kindern Edie Grunt genannt), das ab und zu mal mit ihr redete. Aber Edies Nachhauseweg ging in die andere Richtung, zur Einkaufsstraße und den Verwaltungsgebäuden hin, während Tessas Orientierungspunkt die hohen, weit im Westen gelegenen Kühltürme von Eyeball Alley waren. Tess wohnte – jedenfalls, wenn sie bei ihrem Vater war, also jeweils eine Woche pro Monat – in einer Reihenhaussiedlung, deren pastellfarbene Einheiten aneinandergerückt standen wie Soldaten, die Haltung angenommen haben. Das Haus ihrer Mutter, obgleich in einer anderen Siedlung noch weiter im Westen gelegen, sah fast identisch aus.
    Sie war zwanzig Minuten länger in der Schule geblieben, weil sie Mr. Fleischer geholfen hatte, die Tafeln abzuwischen. Mr. Fleischer, ein Mann mit weißbraunem Bart und kahlem Kopf, hatte ihr viele persönliche Fragen gestellt – was sie mache, wenn sie zu Hause sei, wie sie mit ihren Eltern auskomme, wie ihr die Schule gefalle. Tess hatte pflichtschuldig, doch ohne Begeisterung geantwortet, und nach einer Weile hatte Mr. Fleischer die Stirn gerunzelt und aufgehört zu fragen – was ihr nur recht war.
    Gefiel ihr die Schule? Es war noch zu früh, um darüber etwas zu sagen. Sie hatte ja gerade erst angefangen. Das Wetter war noch warm, obwohl der Wind, der über den Gehsteig fegte und ihren Rock flattern ließ, schon einen Hauch von Herbst mit sich trug. Über die Schule, so Tessas Ansicht, konnte man frühestens zu Halloween Näheres sagen, und bis Halloween war es noch einige Wochen hin. Erst dann war ein Urteil möglich – egal, in welche Richtung.
    Sie konnte noch nicht einmal sagen, ob ihr Blind Lake gefiel, die Stadt, die keine Stadt war, in der Nähe des Sees, der kein See war. Crossbank war in mancher Hinsicht besser gewesen. Mehr Bäume. Herbstfarben, und im Winter Schnee auf den Hügeln. Ihre Mutter hatte gesagt, dass es auch hier Schnee geben würde, und zwar reichlich, und vielleicht würde sie diesmal auch Freundinnen finden, mit denen sie rodeln gehen konnte. Aber die hiesigen Hügel schienen zu flach und zu wenig abschüssig, um vernünftig rodeln zu können. Bäume gab es auch nur wenige, meistenteils ganz junge, die rund um die Wissenschaftsgebäude und die Einkaufshalle angepflanzt worden waren. Als hätte man beim Wünschen nicht alles richtig gemacht, dachte Tessa. An einigen von ihnen, die auf den Rasenflächen der Stadthäuser
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