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QED: Die seltsame Theorie des Lichts und der Materie (German Edition)

QED: Die seltsame Theorie des Lichts und der Materie (German Edition)

Titel: QED: Die seltsame Theorie des Lichts und der Materie (German Edition)
Autoren: Richard P. Feynman
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zu 365 Tagen entsprachen (daß das Jahr nach Jahreszeiten anders anzusetzen wäre, war ihnen wohl bewußt und auch Gegenstand ihrer Berechnungen). Um die Berechnungen anstellen zu können, hatten die Maya ein System aus Strichen und Punkten zur Darstellung von Zahlen (einschließlich der Null) erfunden und Regeln aufgestellt, mit deren Hilfe sie nicht nur den Auf- und Untergang der Venus, sondern auch andere Himmelserscheinungen wie Mondfinsternisse berechnen und vorhersagen konnten.
    In jener Zeit waren nur wenige Maya-Priester zu solch schwierigen Berechnungen imstande. Stellen wir uns nun einmal vor, wir würden einen von ihnen bitten, uns wenigstens einen Schritt aus dem für die Vorhersage des nächsten Venusaufgangs als Morgenstern erforderlichen Vorgang zu erläutern – die Subtraktion zweier Zahlen. Nehmen wir weiter an, wir hätten, was heute praktisch nicht mehr möglich ist, keine Schule besucht und könnten nicht subtrahieren. Wie könnte uns der Priester erklären, was eine Subtraktion ist?
    Er könnte uns entweder über den Zusammenhang zwischen Strichen und Punkten und unseren Zahlen sowie über die Subtraktionsregeln aufklären oder uns darlegen, was er wirklich tut: »Nehmen wir an, wir wollen 236 von 584 abziehen, so zählen wir als erstes 584 Bohnen ab und werfen sie in einen Topf. Dann nehmen wir 236 Bohnen heraus und legen sie auf die Seite. Und schließlich zählen wir die im Topf verbliebenen. Ihre Zahl entspricht dem Ergebnis unserer Subtraktion, das heißt, wir haben 236 von 584 abgezogen.«
    »Mein Quetzalcoatl!« würden Sie vermutlich ausrufen. »Welch ein Umstand – Bohnen abzählen, in den Topf hinein und wieder aus ihm heraus – was für ein Aufwand!«
    »Deshalb«, würde ihnen der Priester erwidern, »haben wir die Regeln für die Striche und Punkte erfunden. Raffinierte Regeln, mit deren Hilfe wir die Antwort viel schneller erhalten als durch Zählen. Und was die Antwort angeht, so ist es völlig egal – und das ist wichtig –, ob wir den Venusaufgang durch Bohnenzählen (was langsam vor sich geht, aber leicht zu begreifen ist) oder durch Anwendung der raffinierten Regeln (was viel schneller geht, aber einen jahrelangen Schulbesuch voraussetzt) vorhersagen.«
    Wie sich eine Subtraktion bewerkstelligen läßt, ist im Grunde nicht schwer zu begreifen – solange man sie nicht wirklich auszuführen braucht. Und damit sind wir bei mir und meiner Aufgabe angelangt: Ich erkläre Ihnen, was die Physiker machen , wenn sie das Verhalten der Natur vorhersagen, aber ich lehre Sie keinen der Tricks, mit denen sie effizient arbeiten. Um vernünftige Vorhersagen mit dem neuen Schema der Quantenelektrodynamik machen zu können, müßten Sie, wie Sie noch sehen werden, eine Unmenge kleiner Pfeile auf ein Blatt Papier zeichnen. Die Physikstudenten kostet es sieben Jahre, solche Tricks zu erlernen. Genau an dem Punkt werden wir uns sieben Jahre Physikstudium schenken: insofern als ich Sie anhand dessen, was wir wirklich machen , in die Quantenelektrodynamik einführe. Und ich hoffe, daß Sie sie besser verstehen als mancher Physikstudent!
    Kommen wir noch einmal auf die Maya zurück. Wir könnten nun einen Schritt weitergehen und den Priester fragen, warum fünf Venuszyklen ungefähr 2920 Tagen oder acht Jahren entsprechen. Für das Warum gäbe es alle möglichen Erklärungen wie: »Die 20 spielt eine wichtige Rolle in unserem Zahlensystem. Teilt man nun 2920 durch 20, so erhält man 146, das heißt eins mehr als eine Zahl, die sich durch die Summe zweier Quadrate auf zweierlei Weise darstellen läßt«, und so fort. Nur daß die Theorie im Grunde nichts mit der Venus zu tun hätte. Seit der Neuzeit wissen wir, wie unnütz Theorien dieser Art sind. Deshalb werden wir uns, ich wiederhole es, nicht mit der Frage beschäftigen, warum sich die Natur so verhält, wie sie es tut. Es gibt keine brauchbaren Theorien, die das Warum erklären könnten.
    Mit all diesen Betrachtungen wollte ich Sie in die richtige Stimmung versetzen, damit Sie mir zuhören. Andernfalls haben wir keine Chance. Also wagen wir’s, gehen wir’s an!
    Beginnen wir mit dem Licht. Als Newton auf die Idee kam, Licht einmal genauer zu untersuchen, stellte er als erstes fest, daß es ein Farbengemisch ist. Mit Hilfe eines Prismas zerlegte er weißes Licht in verschiedene Farben. Einfarbiges – zum Beispiel rotes – Licht hingegen ließ sich durch ein Prisma nicht weiter aufspalten. Das bedeutete offenbar, daß Farben im
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