Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Pulphead

Pulphead

Titel: Pulphead
Autoren: John Jeremiah Sullivan
Vom Netzwerk:
sofern es Dein Wille ist.« Ich war davon ausgegangen, dass meine Festivaltage einigermaßen einsam ausfallen und im Ritualmord an mir gipfeln würden. Aber diese Jungs aus West Virginia hatten so viel Wärme. Sie strömte geradezu aus ihnen heraus. Sie fragten mich, was ich so trieb, ob ich Sassafras-Tee mochte und wie viele Leute ich in meinem Wohnmobil mitgebracht hatte. Außerdem kannten sie einen Typen, der auf grauenvolle Weise ums Leben gekommen war und aus einem Bundesstaat kam, der denselben
Namen trägt wie der Fluss, an dessen Ufern ich aufgewachsen bin. Und ich bin niemand, der solche Zufälle in Zweifel zieht.
    »Was macht ihr denn später so?«, fragte ich.
    Bub war klein und gedrungen; seine Hände sahen aus, als könnte er sie als Müllpresse verwenden. Seine Hautfarbe war dunkler als die der anderen, sie ging in Richtung Oliv, die Haare unter seiner Camouflage-Kappe waren braun, seine Augen und sein ausgewachsener Schnäuzer ebenfalls. Später verriet er mir, dass Freunde ihn oft für »halb N-Wort« hielten. So drückte er sich aus. Er war schüchtern und sah immer aus, als würde er gerade intensiv über etwas nachdenken. »Ritter und ich wollen ein bisschen Musik hören gehen«, sagte er.
    »Welche Band?«
    Ritter sagte: »Jars of Clay.«
    Von denen hatte ich schon gehört; sie waren populär. »Kommt mich doch, wenn ihr losgeht, an meinem Wohnmobil abholen«, sagte ich. »Ich parke auf dem total leeren Feld da drüben.«
    Ritter meinte: »Können wir machen.« Dann stellten sie sich an, um mir nacheinander die Hand zu schütteln.
     
    Während ich auf Ritter und Bub wartete, lag ich im Bett und las im Licht der Laterne The Silenced Times , ein dünnes Infoheftchen, das in meinem Festival-Paket gewesen war. Eigentlich war es auch kein Infoheftchen, sondern eine Werbebroschüre für Silenced , den neuen Roman von Jerry Jenkins, einem der Köpfe hinter der Hundert-Millionen-Dollar-Romanreihe Left Behind , in der bislang ein gutes Dutzend Bücher erschienen ist, die allesamt von dem handeln, was Leuten wie mir nach der endzeitlichen Entrückung zustoßen wird. Jenkins' neues Buch hatte ein futuristisches Setting, es spielte im Jahr 2045. Die Broschüre war auf den »2. März 38« datiert, was heißen sollte, dass siebenunddreißig Jahre vergangen sind, seit man Jesus aus den Geschichtsbüchern radiert hat und die
Zeitrechnung neu gestartet wurde. Wahrscheinlich sollte The Silenced Times aussehen wie eine Zeitung aus diesem kommenden Zeitalter.
    Es handelte sich um ganz schön düsteres Zeug. Wie ein Virus hat sich im Jahr 38 ein uralter Totenkult ausgebreitet und die »Vereinigten Sieben Staaten von Amerika« unterjocht. Anhänger dieses Kultes sind in »Zellen« organisiert (sehr hübsch, diese Prise alten Kommunisten-Jargons); sie rekrutieren die Jugend, streben nach globaler Hegemonie und haben es darauf abgesehen, den Weltuntergang herbeizuführen. Im Jahr 34 – als die letzte Volkszählung stattfand – haben sich 44 Prozent der Bevölkerung zur Mitgliedschaft in dieser Gruppierung bekannt, jetzt aber ist es schon fast die Hälfte. Damit wird jede andere noch existierende religiöse Bewegung im Land in den Schatten gestellt. Sogar der Präsident (dessen Wahl die Kultanhänger vorangetrieben haben) ist mittlerweile übergetreten. Der beliebteste Nachrichtensender unterstützt ihn und seine Politik offen, der am heißesten diskutierte Film des Jahres ist ungeschminkte Kult-Propaganda, wenn auch mit einem dunklen, brillanten Dreh, und der Großteil der Bevölkerung ist davon überzeugt, dass die Medien kontrolliert werden von –
    Moment!, dachte ich. Das alles passiert doch wirklich. Genau so funktioniert die evangelikale Bewegung. Nur, dass in The Silenced Times beschrieben wird, wie man Christen ins Gefängnis wirft und in den Untergrund treibt. Wie ihre Pamphlete konfisziert werden. Ein Mann bekommt eine Auszeichnung, weil er seine Schwester verpfeift, die an der Uni einen Bibelkreis veranstaltet. Besonders gut gefiel mir die Stelle, in der die antireligiösen Kräfte Jenkins selbst aufstöbern – in einer Höhle. Er ist mittlerweile neunundsiebzig Jahre alt und hat immer weitergeschrieben, und als sie ihn fortschleifen, brüllt er Bibelverse.
    Ritter klopfte an die Tür. Er und Bub seien jetzt so weit, sie wollten sich Jars of Clay anhören. Mittlerweile war es finster,
und noch mehr Feuer brannten; das gesamte Tal war von ihrem Geruch erfüllt. Der Himmel mit seinen Tausenden von
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher