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Projekt Wintermond

Projekt Wintermond

Titel: Projekt Wintermond
Autoren: Glenn Meade
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legte auf.
    Nur noch der Regen und der ferne Donner unterbrachen die Stille der Nacht. Schließlich legte auch Jennifer den Hörer auf, schlug die Decke über sich und zog die Beine an den Leib. Wie ein Kind bettete sie den Kopf auf die Hände und starrte auf die regengepeitschte Fensterscheibe, bis allmählich die Wirkung des Schlafmittels einsetzte. Gefangen im Niemandsland zwischen Wachen und Schlafen, arbeiteten ihre Gedanken noch eine Zeit lang weiter. Sie wusste, dass niemand ihr helfen konnte. Das konnte nur sie selbst. Sie musste lernen, mit den Dämonen, die ihre Seele quälten, in Frieden zu leben. Irgendwie. Doch tief im Innern wusste sie, dass es unmöglich war .
    Zumindest war der maskierte Mann nicht mehr da. In dieser Nacht kehrte der Albtraum nicht wieder. Wenigstens das.
    Endlich fielen Jennifer die Augen zu, und sie ergab sich für den Rest der Nacht dem erlösenden Schlaf.
    3
    John F. Kennedy International Airport New York

    Nadia betete, es möge bald vorbei sein.
    Wenn sie die nächsten fünf Minuten überlebte, hatte sie es geschafft. Wenn nicht, war sie so gut wie tot.
    Sie drückte Alexi, das Baby, ängstlich an ihre Brust und umfasste die kleine Hand ihrer zweijährigen Tochter Tamara. Auf dem Flughafen herrschte reges Treiben. Nadia war zum ersten Mal auf dem John F. Kennedy Airport. Der Lärm und die Menschenmengen machten ihr Angst, obwohl die Männer ihr gesagt hatten, welcher Trubel sie am Flughafen erwartete. Auf Nadias Stirn bildeten sich Schweißperlen. Das Wollkleid klebte auf ihrem Rücken.
    Die dreiundzwanzigjährige Frau hatte blaue Augen und ein unschuldiges Gesicht. Das war auch der Grund dafür, dass die Wahl der Männer auf sie gefallen war. Und Nadias Tochter Tamara ähnelte ihr sehr: ein hübsches, kleines, rundes Gesicht mit großen, unschuldigen Augen. Nadia liebte das Mädchen über alles.
    Sie dachte an Moskau zurück, an das harte Leben dort. Es war schwer, sich in der Acht-Millionen-Stadt durchzuschlagen. Nadia hatte in einem winzigen Zimmer im vierten Stock einer Mietskaserne gewohnt – für fünftausend Rubel im Monat. Heißes Wasser gab es nicht, und in dem Zimmer tummelten sich Ratten und Ungeziefer.
    Nadia Fedow wollte Tamara ein besseres Leben ermöglichen. Das Mädchen sollte nicht so enden wie seine Mutter, die in einem Nachtclub arbeitete, der nichts anderes war als ein Bordell. Sie sollte nicht eines Tages für eine Hand voll Rubel von betrunkenen Männern brutal missbraucht werden. Sie sollte eine schöne Wohnung haben, ein sauberes Bett, heißes Wasser. Sie sollte in einer guten Wohngegend aufwachsen und nette Spielgefährten haben. Das war Nadias sehnlichster Wunsch.
    Sie betrachtete Tamara, die nach dem achtstündigen Flug von Moskau nach New York müde und quengelig war. Ihr Haar war zerzaust, und sie rieb sich die Augen.
    »Schlafen, Mama.«
    »Gleich kannst du schlafen, Tamara. Gleich«, sagte Nadia, wiegte das in eine blaue Decke gewickelte Baby sanft in den Armen und blickte zum Schalter der Einwanderungsbehörde. Nur eine Person war vor ihr an der Reihe. Ungeduldig stand Nadia vor dem gelben Strich auf dem Boden, der die Wartezone markierte.
    »Hab keine Angst«, flüsterte sie, um sich selbst zu beruhigen.
    Nadias Reisepass war eine hervorragende Fälschung. Die Namen ihrer Kinder standen in dem Dokument, und auf einer Seite war der Stempel mit dem amerikanischen Visum. Jetzt war sie an der Reihe. Der Beamte der Einwanderungsbehörde in der blauen Uniform bat sie an den Schalter. Nadia trat vor und reichte ihm den Reisepass mit dem Einreiseformular, das sie im Flugzeug ausgefüllt hatte.
    Der Mann blätterte den Pass durch, schaute auf das Foto, warf einen musternden Blick in Nadias Gesicht und legte den Pass auf ein elektronisches Prüfgerät. »Ihr Ticket bitte«, sagte er dann und streckte den Arm aus.
    Nadia reichte ihm das Flugticket. Der Beamte überprüfte es und musterte die junge Frau erneut. »Sie wollen zwei Wochen in New York bleiben?«
    »Ja.«
    »Unter dieser Adresse?«
    »Ja.«
    »Mit den beiden Kindern?«
    »Ja.«
    Der Beamte beugte sich über den Schalter, um einen Blick auf Tamara werfen zu können. Das kleine Mädchen lächelte den Mann an und klammerte sich schüchtern an das Kleid ihrer Mutter.
    »Ein hübsches Kind«, sagte der Mann.
    »Ja.« Nadia lächelte nervös. Der Mann war nett, ganz anders, als sie erwartet hatte. Er warf einen kurzen Blick auf das Baby, das in die Decke gewickelt auf Nadias Arm lag. Anschließend
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