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Prime Time

Prime Time

Titel: Prime Time
Autoren: Liza Marklund
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der halb erstickte Laut und gab keine Ruhe. Ellen versuchte, sich an Annikas Tasche aufzurichten, die Tasche rutschte weg und das Mädchen fiel mit dem Gesicht auf den Fußboden.
    »Oje, oje, soll Mama mal pusten, nicht so schlimm, meine Süße …«
    Das Klingeln war im erschreckten Weinen des Kindes nicht mehr zu hören. Annika nahm ihre Tochter hoch, flüsterte, sog ihren Geruch und die Zartheit ein, spürte die Wärme. Sie setzte sich auf das Schuhregal, der kleine Körper wurde weich, Ellen hatte den Daumen im Mund. Als sie zu weinen aufgehört hatte, piepste es auch nicht mehr. Stattdessen klingelte das Telefon. Annika erhob sich mit dem Kind auf dem Arm, klemmte sich den Hörer zwischen Kopf und Schulter und blies gleichzeitig weiter in Ellens Gesicht.
    »Hast du es schon gehört?«, fragte Spiken, der Nachrichtenchef. Annika wiegte beruhigend ihr Kind.
    »Was?«
    »Das aus Sörmland natürlich, Michelle Carlsson.«
    Sie hörte auf zu pusten und leckte sich über die Lippen. Das
Abendblatt
brach mit der Sensibilität eines Panzers in die Diele ein, totalitär und alles bestimmend.
    »Sind das nicht deine alten Jagdgefilde?«, meinte der Nachrichtenchef. »Der Fotograf ist schon unterwegs, es ist Bertil Strand, oder?«
    Das Letzte sagte er zu jemand anders, vermutlich zum Bildredakteur. Dann wieder in die Leitung:
    »Bertil ist auf dem Weg, er wird dich in fünf Minuten abholen.«
    »Hast du die Windeln eingepackt?«, fragte Thomas und nahm das Mädchen von ihrem Arm.
    Annika nickte und zeigte auf den Haufen in der Diele.
    »Was ist passiert?«, fragte sie.
    »Hast du nun einen Flash oder nicht?«
    Verdammt, der Pieper mit dem Nachrichtenflash. Sie riss ihre Tasche heraus, wühlte darin herum, fand ihn nicht.
    »Ah«, sagte sie, »ich habe ihn gehört, habe aber noch nicht nachsehen können.«
    »Michelle Carlsson ist ermordet worden. In einem Ü-Wagen draußen bei Flen. In den Kopf geschossen.«
    Die Worte drangen nicht zu ihr vor, das Greifbare entglitt ihr wieder. Thomas stellte das Mädchen auf den Boden. Das Kind lief sofort auf Annika zu, stolpernd, mit ausgestreckten Armen.
    »Du machst Witze«, sagte sie.
    »Carl Wennergren ist da. Anscheinend war er gestern bei der Aufzeichnung dabei, wir haben also einen Vorsprung.
    Gutes Timing.«
    In Spikens Stimme schwang ehrliche Bewunderung mit, und er hielt damit nicht hinter dem Berg. Annika hörte, wie er an seiner Zigarette zog, im Hintergrund war ein Geräuschteppich aus undefinierbarem Redaktionslärm. Sie sank wieder auf das Schuhregal.
    »Berit ist gerade auf Öland und macht etwas über die Sauferei von Jugendlichen. Sie lässt alles stehen und liegen und fährt mit dem Auto rauf. Wird wahrscheinlich am späten Nachmittag eintreffen. Langeby ist auf den Kanarischen Inseln, also bist nur noch du da. Du musst dich auf die Socken machen. Bertil Strand hat alles dabei, was schon über den Ticker gekommen ist. Es ist fast nichts, du wirst also vom Auto aus rundtelefonieren müssen. Hast du gute Kontakte zur Kripo in Sörmland?«
    Annika schloss die Augen, zwang ihre beiden Welten zusammen und spürte die warme Faust des Kindes auf ihrem Bein.
    »Geht so.«
    »Dann rede mit Wennergren, mach dir ein Bild von der Lage und ruf mich an … so gegen zwölf, ja?«
    »Klar«, sagte sie.
    Thomas starrte sie an, die Schultern steif.
    »Was war das denn?«
    Sie legte den Hörer auf und sah ihm in die Augen.
    »Nein«, sagte er. »Sag, dass das nicht wahr ist. Nicht irgendein verdammter Job, nicht heute.«
    »Michelle Carlsson ist tot«, sagte Annika. Leere machte sich in ihr breit.
    »Die aus dem Fernsehen?«, fragte Thomas. »Annes Kollegin?«
    Sie nickte. Das Adrenalin erreichte ihr Gehirn, die Haare auf den Oberarmen stellten sich auf. Ellen machte gurgelnde Geräusche an ihren Knien.
    »Und wie? Wie ist sie gestorben?«
    Annika schob das Kind zur Seite, stand auf, wechselte die Perspektive. Das Gepäck für den Ausflug in die Schären wurde immer kleiner und verschwand. Am Ende waren nur noch der Computer und ihre große Tasche übrig. Das Mädchen setzte sich mit einem Rums auf den Hintern und fing wieder an zu weinen. Thomas nahm sie hoch.
    »Sie sind schon unterwegs, um mich abzuholen«, sagte Annika. Thomas starrte sie zwei Sekunden lang an und weigerte sich zu verstehen.
    »Das Schiff geht um elf Uhr«, sagte er.
    Annika nahm ihm das Mädchen ab, trug es hinein und legte es ins Gitterbett. Sie küsste die Kleine auf den Kopf. Die Erleichterung darüber, dass
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