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Portrat in Sepia

Portrat in Sepia

Titel: Portrat in Sepia
Autoren: Isabel Allende
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Ehebrechern, in geweihter Erde
beerdigt zu werden. Vor seinem Großvater hätte er es sich nie
erlaubt, die Theorie Darwins zu erwähnen, der dabei war, das
menschliche Bewußtsein zu revolutionieren, dagegen konnte
man im Kreis der Familie einen ganzen Abend damit vergeuden,
über die unwahrscheinlichsten Wundertaten von Heiligen und
Märtyrern zu reden. Ein weiterer Anreiz für die Fahrt war die
Erinnerung an die kleine Lynn Sommers, die sich mit
überwältigender Beharrlichkeit in seine Liebe zu Nivea mischte,
was er freilich nicht einmal im geheimsten Winkel seiner Seele
zugegeben hätte.
    Severo del Valle wußte weder wann noch wie der Gedanke
aufgekommen war, Nivea zu heiraten, vielleicht hätten sie selbst
das auch nicht entschieden, sondern die Familie, aber keiner der
beiden begehrte gegen dieses Los auf, denn sie kannten und
liebten einander seit ihrer Kindheit. Nivea gehörte einem Zweig
der Familie an, der vermögend gewesen war, als der Vater noch
lebte, aber nach seinem Tode verarmte die Witwe. Ein reicher
Onkel, der während des Krieges eine prominente Gestalt werden
sollte, nämlich Don José Francisco Vergara, half die Kinder
erziehen. »Es gibt keine schlimmere Armut, als wenn man
vorher alles hatte, weil man dann etwas vorspiegeln muß, was
einfach nicht mehr da ist«, hatte Nivea ihrem Vetter Severo
bekannt in einem jener Augenblicke plötzlicher Klarsieht, die
für sie bezeichnend waren. Sie war vier Jahre jünger als er, aber
sehr viel reifer; sie war es, die den Ton angab in dieser
Kinderliebe, sie hatte ihn mit fester Hand in die schwärmerische
Beziehung geführt, die sie zu der Zeit verband, als Severo in die
Vereinigten Staaten abreiste. In den riesigen Häusern, in denen
sie lebten, gab es eine Unzahl Ecken und Winkel, die zum
Lieben hervorragend geeignet waren. Tastend im Dunkel
entdeckten Vetter und Cousine mit der Tolpatschigkeit junger
Hunde die Geheimnisse ihrer Körper. Sie liebkosten sich voller
Neugier, machten die Unterschiede ausfindig, ohne zu wissen,
weshalb er dies hatte und sie jenes, waren verwirrt von Scham
und Schuldgefühl, und immer schwiegen sie dabei, denn was sie
nicht in Worte faßten, das war ja, als wäre es nie geschehen und
deshalb weniger sündig. Sie erkundeten einander hastig und voll
Angst, denn sie waren sich bewußt, daß sie diese Spiele
keinesfalls in der Beichte bekennen durften, obwohl sie sich
dadurch zur Hölle verdammten. Es gab tausend Augen, die
ihnen nachspionierten. Die alten Dienstboten, die sie hatten zur
Welt kommen sehen, beschützten die unschuldige Liebelei, aber
die unverheirateten Tanten waren wachsam wie die Krähen;
nichts entging diesen frostigen Augen, deren einzige Aufgabe es
war, jede Sekunde des Familienlebens zu registrieren, nichts
diesen mitternachtsfinsteren Zungen, die jedes Geheimnis
verbreiteten und jeden Streit schürten, aber natürlich immer im
Schoß der Sippe. Nie drang etwas durch die Mauern dieser
Häuser. Die erste Pflicht aller war es, die Ehre und den guten
Namen der Familie zu bewahren. Nivea hatte sich spät
entwickelt, mit fünfzehn Jahren hatte sie noch den Körper eines
Kindes und ein unschuldiges Gesicht, nichts an ihrem Aussehen
verriet die Stärke ihres Charakters: sie war klein und rundlich,
die großen, dunklen Augen waren das einzige Bemerkenswerte
an ihr, im übrigen wirkte sie unbedeutend, bis sie den Mund
aufmachte. Während ihre Schwestern sich mit dem Lesen
frommer Bücher den Himmel verdienten, las sie heimlich die
Artikel und Bücher, die Vetter Severo ihr verstohlen zuschob,
und die Klassiker, die ihr Onkel José Francisco Vergara ihr lieh.
Als noch so gut wie niemand in ihrem gesellschaftlichen
Umkreis vom Frauenwahlrecht sprach, packte sie diesen
Gedanken während eines gemeinsamen Essens im Haus Don
Agustin del Valles unbekümmert auf den Familientisch, was
helles Entsetzen hervorrief. »Wann werden die Frauen und die
armen Leute in diesem Land wählen können?« fragte sie
unvermittelt, ohne zu bedenken, daß Kinder in Gegenwart von
Erwachsenen zu schweigen haben. Der alte Patriarch del Valle
hieb mit der Faust auf den Tisch, daß die Gläser hüpften, und
befahl ihr, auf der Stelle beichten zu gehen. Nivea unterzog sich
schweigend der Buße, die der Priester ihr auferlegte, und schrieb
dann in ihr Tagebuch, und das mit ungebrochener Leidenschaft,
sie denke nicht daran, aufzugeben, bis die elementaren Rechte
für die Frauen durchgesetzt
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