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Porträt eines Starters

Porträt eines Starters

Titel: Porträt eines Starters
Autoren: Lissa Price
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stirbt nicht sofort, aber man stirbt. Unweigerlich. Ich streife ihr den Ärmel von der Schulter und deute auf das rote Impfmal an ihrem Oberarm.
    »Siehst du das?«, sage ich. »Das wird dich schützen.«
    »Ja. Vor der Grippe.«
    »Das wurde euch erzählt, um eine Panik zu vermeiden. In Wahrheit ist es ein Impfstoff gegen die Sporen.«
    Sie betrachtet ihren Oberarm und starrt den kleinen roten Fleck nahe der Schulter an. »Ein Impfstoff gegen die Sporen?«
    Auch ich starre das Mal an.
    Vor einem Monat sah ihr Arm noch perfekt aus. Glatte Haut, sonst nichts. Wir warteten in einer langen Schlange vor der Turnhalle der Highschool. Das war kurz bevor sie alle Schulen schlossen. Welche Eltern wollten schon riskieren, dass ihre Kinder im Unterricht saßen, während draußen der Krieg eskalierte? Es scheint so lange her zu sein. Dabei ist erst etwas mehr als ein Jahr vergangen seit der großen Schlacht im Pazifik, die viele Menschenleben forderte und die Küstenlinie mit kaputten Schiffen beider Parteien übersäte. Geschütze und Wrackteile, ja selbst verstümmelte Leichen wurden an Land gespült. Man riegelte die Strände mit Stacheldrahtzäunen ab, um die Menschen vor ausgelaufenen Chemikalien und möglichen Selbstzünder-Bomben zu schützen. Es war ein schmerzhafter Anblick. Ray und ich standen mit anderen Schaulustigen an der Barriere und dachten daran, dass wir noch wenige Monate zuvor den hellgoldenen Sand und das blaue Wasser genossen hatten. Jetzt war der Sand schwarz vom Öl der Totenschiffe.
    Und warum? Gier – der Auslöser für fast alle Kriege.
    Natürlich weinte ich damals. Aber in der Schulturnhalle war ich erleichtert, dass Callie geimpft wurde. Tyler hatte seine Spritze bereits einige Tage zuvor bekommen, und so warteten wir nur zu zweit. Da das Gerücht umging, dass der Impfstoff vielleicht nicht für alle reichte, stellten wir uns schon um fünf Uhr morgens an. Callie konnte nicht verstehen, dass wir solchen Wirbel um einen Grippeschutz machten. Als sie Stunden später endlich an der Reihe war und ihr die Injektionspistole an den Arm gedrückt wurde, musste ich mich abwenden. Callie wäre womöglich misstrauisch geworden, wenn sie die enorme Erleichterung in meinen Zügen gelesen hätte.
    Als ich jetzt im Schlafzimmer versuche, Callie den Ärmel wieder über die Impfnarbe zu schieben, wehrt sie ab.
    »Die Stelle ist immer noch rot«, sagt sie.
    »Mit Absicht«, erkläre ich. »Damit man sehen kann, dass du geschützt bist.«
    »Ich finde das doof.« Sie betrachtet das Mal mit gerunzelter Stirn und fängt an, daran herumzukratzen. »Und hässlich.«
    Ich nehme ihre Hand und halte sie fest. »Finger weg, mein Schatz! Die Narbe könnte dir eines Tages das Leben retten.«
    »Wie das denn?«
    »Die Leute werden an dem roten Fleck erkennen, dass du nicht infiziert bist und keine Gefahr für sie darstellst.«
    Sie verarbeitet das. Und dann sieht sie mich besorgt an. »Aber du bist nicht geimpft. Und Daddy auch nicht.«
    »Das war nicht notwendig. Die Regierung muss sich vor allem um die Schwachen kümmern – die ganz jungen und die ganz alten Menschen. Daddy und ich sind gesund und kräftig. Wir kommen auch so durch.«
    Ich denke an den Tag zurück, als wir von der Impfstoffknappheit erfuhren. Ray mit seinen Beziehungen hätte uns das Zeug durchaus besorgen können. Ich drängte ihn dazu. Versuchte ihm die Augen zu öffnen. Was bringt es, wenn unsere Kinder überleben und wir tot sind?, fragte ich ihn. Wer wird sie aufnehmen? Unsere Eltern sind tot. Ich flehte ihn an. Die Holo-Stars, die Politiker und andere hohe Tiere beschafften sich den Impfstoff doch auch. Alle wussten um den Schwarzmarkthandel. Aber Ray blieb hart. Er weigerte sich kategorisch, einem Kind oder einem alten Menschen den Impfstoff wegzunehmen.
    Klasse. Bleiben uns Anstand und Moral. Aber was sonst?
Die Spore, später
    Es ist heiß. Stickig.
    Die Spore wartet darauf, dass die Nachbarin ihr erklärt, warum sie hier sind, als plötzlich ein neuer Schwung Sporen ankommt. Sie taumelt rückwärts.
    Warte! Warum sind wir hier?
    Aber es ist zu spät. Sie prallt gegen verdrießliche, schweigsame Sporen und kugelt über sie hinweg.
    Die Spore glaubt, ersticken zu müssen.
    Da stimmt doch was nicht! , ruft sie. Was ist das bloß für ein Leben?
    Pass auf! , warnt jemand. Und wieder ergießen sich Sporen über sie, drücken sie nach unten, wirbeln dann hoch und landen auf ein paar Leidensgefährten.
    Die Spore will schreien.
    Sie bringt keinen Ton
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