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Populaermusik Aus Vittula

Titel: Populaermusik Aus Vittula
Autoren: Mikael Niemi
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hinauszukommen, und in dem Gewühl verloren wir die alte Dame. Ich fragte einen Mann mit Schirmmütze, ob das hier China war. Er schüttelte den Kopf und zeigte auf einen unendlich langen Flur, den Leute mit ihren Taschen hin und her liefen. Wir gingen dorthin, und ich musste mehrere Male höflich fragen, bis wir endlich Menschen mit Schlitzaugen entdeckten. Ich dachte mir, dass die doch bestimmt nach China wollten, also setzten wir uns zu ihnen und warteten geduldig.
    Nach einer Weile kam ein Mann in einer dunkelblauen Uniform und fing an, uns Fragen zu stellen. Sicher würden wir Probleme kriegen, das konnten wir seinen Augen ansehen. Ich lächelte deshalb schüchtern und tat so, als würde ich ihn nicht verstehen.
    »Papa«, murmelte ich und zeigte irgendwo weit in die Ferne.
    »Wartet hier«, sagte er und verschwand mit raschem Schritt.
    Sobald er weg war, zogen wir um auf eine andere Bank. Dort trafen wir ein schwarzhaariges Chinesenmädchen in Kniestrümpfen, die ein witziges Plastikpuzzle hatte. Sie legte die Teile auf den Boden und zeigte uns, wie man daraus einen Baum oder einen Hubschrauber oder was sonst noch bauen konnte. Sie redete viel und ruderte mit ihren dünnen Armen, ich glaube, sie sagte, sie heiße Li. Ab und zu deutete sie auf eine Bank, auf der ein Onkel mit strengen Augen neben einem älteren Mädchen mit rabenschwarzem Haar eine Zeitung las. Ich begriff, dass das die Schwester des Mädchens war. Sie aß eine rote, weiche Frucht und wischte sich mit einer spitzenumsäum-ten Serviette den Mund ab. Als ich zu ihr ging, bot sie mir mit verhaltener Miene Stücke an, die sorgsam mit einem Obstmesser abgeschnitten waren. Sie schmeckten so süß, dass ich spürte, wie es in mir vibrierte, so etwas Gutes hatte ich nie zuvor gegessen, und ich stieß meinem Kumpel in die Seite, dass auch er probieren sollte. Er genoss den Happen mit versonnenem Blick. Und als eine Art Dank zog er überraschend eine Streichholzschachtel heraus, öffnete sie einen Spalt und ließ das Chinesenmädchen hineingucken.
    Dort drinnen lag ein großer, grün glänzender Käfer. Die große Schwester versuchte ihn mit einem kleinen Obststückchen zu füttern, aber da flog er davon. Er erhob sich dumpf brummend über all die schlitzäugigen Menschen in ihren Sesseln, umkreiste zwei Frauen mit Stäben im Haar, die überrascht aufschauten, umrundete einen Berg von Reisetaschen mit einem hastig eingeschlagenen Rentiergeweih oben drauf und flog dann dicht unter der Leuchtstoffröhre den Flur entlang, den gleichen Weg zurück, den wir gekommen waren. Mein Kumpel sah traurig aus, aber ich versuchte ihn damit zu trösten, dass er sicher schon auf seinem Weg zurück nach Pajala war.
    Im gleichen Moment ertönte eine Lautsprecherstimme, und alle hatten es plötzlich ganz eilig. Wir packten die Puzzleteile in die Spielzeugtasche des Mädchens und drängten uns in dem Passagiergewimmel durch die Sperre. Dieses Flugzeug war viel größer als das vorherige. Statt der Propeller hatte es große Trommeln an den Flügeln, die pfiffen, als es startete. Das Geräusch wurde zu einem ohrenbetäubenden Heulen und dann zu einem dumpfen Grollen, als wir abgehoben hatten.
    Wir kamen nach Frankfurt. Und wenn mein schweigsamer Reisebegleiter keine Probleme mit dem Bauch gehabt und nicht unter einen Tisch geschissen hätte, dann wären wir sicher, dann wären wir auf jeden Fall, daran gibt es gar keinen Zweifel, bis nach China gekommen.
    KAPITEL 2
    - über lebendigen und toten Glauben, wie Schrauben Gewalt auslösen können und über ein merkwürdiges Intermezzo in der Kirche von Pajala.
    Ich freundete mich mit meinem schweigenden Kumpel an, und bald ging ich das erste Mal mit zu ihm nach Hause. Es stellte sich heraus, dass seine Eltern Laestadianer waren, Anhänger der Erweckungsbewegung, die Lars Levi Laestadius vor langer, langer Zeit in Karesuando ins Leben gerufen hatte. In feurigen Predigten hatte dieser kurz gewachsene Priester fast genauso viel geflucht wie die Sünder und Lotterleben und Unzucht angeprangert, und das mit einer derartigen Kraft, dass die Nachwirkungen noch heute zu spüren sind.
    Für einen Laestadianer genügt es nicht, nur zu glauben. Es geht nicht nur darum, getauft zu werden, oder um ein Lippenbekenntnis, oder darum, Kirchensteuer zu zahlen. Der Glaube muss lebendig sein. Ein alter Laestadianerprediger wurde einmal gefragt, wie er diesen lebendigen Glauben beschreiben würde. Er dachte lange darüber nach und antwortete
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