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Plage der Finsternis - Keohane, D: Plage der Finsternis

Titel: Plage der Finsternis - Keohane, D: Plage der Finsternis
Autoren: Daniel G. Keohane
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lange Umarmung. »Wie geht es dir?«
    »Ich ...«, begann sie, noch etwas verwirrt von der Zuwendung. »Mir geht’s ganz gut soweit. Werden Sie hier wieder aufmachen? Die Kirche, meine ich.« Warum hatte sie das gesagt? Dachte sie wirklich, dass die Watts das ganze Jahr herumgewerkelt hatten, nur um diese Frau anschließend wieder hier einziehen zu lassen? Was, zur Hölle, kümmerte sie das? Sie war nie zu den Gottesdiensten gegangen, nicht ein einziges Mal. Ihre Familie war nie das gewesen, was man Kirchgänger nannte.
    Joyce sah sie einen Moment wortlos an und strich dann kurz über Gems Wange. Die Berührung war kühl und herzlich. Ihr Schweigen konnte allerdings sowohl Verachtung als auch Mitleid ausdrücken. »Nein«, flüsterte sie, »tut mir leid.«
    Gem sah nach unten und beobachtete, wie ihre Socken langsam mit dem Asphalt verschmolzen. Sie konnte keine Worte finden – was sollte sie auch nach solch einer dummen Frage sagen?
    »Du scheinst aufgebracht deswegen«, fügte Joyce hinzu. »Hast du es dir anders überlegt, was all die Einladungen angeht?« Die ältere Frau hatte dies zwar mit einem Lächeln vorgebracht, dennoch kränkten Gem die Worte ein kleines bisschen. Über die Jahre hinweg hatte Joyce es sich zur Aufgabe gemacht, die Davidsons von nebenan einzuladen, entweder auf einen kurzen Besuch oder, was viel häufiger vorkam, zu den Gottesdiensten. Ersteres wurde ein paar Mal wahrgenommen, denn obwohl Gem und Rebecca sechs Jahre Altersunterschied aufwiesen, kamen sie eigentlich recht gut miteinander aus. Bec hatte sogar ab und an auf sie aufgepasst, als Gem noch klein war. Doch niemals wurde die Einladung, den Andachten beizuwohnen, von ihren Eltern akzeptiert. Aus irgendwelchen Gründen hörten die Einladungen nach Eliots Geburt auf – wahrscheinlich war Joyce der ständigen Ablehnungen überdrüssig.
    Gem grub die Hände tiefer in die Taschen ihrer Jeans. »Nein, bin ich nicht. Ich meine, es ist nur das ... ach, ich weiß nicht ... Es ist seltsam, so etwas einfach für immer zu schließen.«
    Joyce legte eine Hand auf Gems Schulter und drehte sie behutsam in Richtung des Hauses. »Eine Gemeinde zu schließen ist immer eine schwierige Entscheidung. Aber es ist in bester Absicht geschehen. Alle finden durchaus Gefallen an der neuen Kirche, und in gewisser Weise wird dieses Gebäude immer ein Teil von uns bleiben. Hast du die Watts schon kennen gelernt?«
    »Nein!« Das klang barscher, als sie es beabsichtigt hatte. »Es tut mir leid, aber ich sollte jetzt nach Hause gehen.«
    Zu Gems Entsetzen dirigierte Joyce sie jedoch den Fußweg entlang zur nachbarlichen Eingangstür. »Begleite mich ruhig. Ich gehe erst auf die grand tour und werde anschließend das Heim der Watts’ segnen. Seit der Zeremonie habe ich es nicht mehr betreten.« Bei dem letzten Satz wurde ihre Stimme leiser, traurig. Kein Wunder, schließlich hatte das Haus einst auch ihr gehört.
    Gem zögerte, sie wollte nicht unhöflich sein und ihre Schulter aus dem Griff der Frau befreien, doch unter keinen Umständen war sie bereit, sich dem Gebäude noch mehr zu nähern.
    Joyce hielt ebenfalls an.
    »Ich sollte jetzt wirklich gehen«, sagte Gem, wobei sie fruchtlos versuchte, Joyces Finger durch Gedankenkraft schmelzen zu lassen.
    »Reverend Lindu!«
    Oh, nein!
    Mrs. Watts stand auf der Schwelle und hielt die Insektenschutztür auf. Sie war Chinesin oder zumindest asiatischer Herkunft. Zierlich. Gem nahm an, dass sie auf gewisse Art hübsch war, hätte jedoch den Teufel getan, und es ihr gegenüber erwähnt. Ihre Blicke trafen sich kurz, bevor die Nachbarin der Pastorin ihre volle Aufmerksamkeit widmete.
    Wenn sich Gem nicht sofort aus dem Staub machte, würde Joyce versuchen, die beiden einander vorzustellen. Und als könne sie Gedanken lesen, nahm die Geistliche die Hand von Gems Schulter und führte sie vorwärts.
    Gott, bitte, schaff mich hier raus!
    »Seyha, haben Sie Ihre Nachbarin schon kennen gelernt? Seyha Watts, das ist Gem Davidson von nebenan.«
    Ein Teil von Gem wusste, dass Joyce damit nur irgendeine Sache erfüllte, die diese Nächstenliebe – oder eben Nachbarliebe – erforderte, aber sie wollte ihrer ehemaligen Nachbarin wirklich, wirklich dringend ins Gesicht boxen. Das stellte wahrscheinlich eine Sünde dar, denn immerhin war sie eine Pastorin oder eine Geistliche oder wie auch immer sich diese Leute selbst nennen mochten.
    »Gem«, sagte Joyce, »das ist Seyha Watts. Seyha, würde es Ihnen etwas ausmachen
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