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Pittys Blues

Pittys Blues

Titel: Pittys Blues
Autoren: Julia Gaebel
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aber es konnte mit Sicherheit hexen, es war böse, alle Frauen waren das im Grunde. Sie würde ihn sicher verfluchen. Er musste abwägen: Was war schlimmer als ein qualvoller Vergiftungstod? Ganz klar: ein verfluchtes Leben!
    Es blieb ihm nur eine Möglichkeit, den Rest seines Lebens ohne Fluch zu verbringen: Er musste es wagen, über die Ladefläche zu klettern. Und das so leise wie möglich.
     
    Die Rickviller lebten ein ruhiges Leben. Was außerhalb ihrer Stadt passierte, interessierte sie nicht. Es sei denn, um sich sagen zu können, dass man es ja so viel besser im Leben getroffen habe als andere. Das ist besser, als neidisch zu sein, aber gut ist es deswegen noch lange nicht.
     
    An dem Tag, an dem es anfing zu schneien und an dem der alte Pick-up Ben Simmons den Weg versperrte, war Dick, der faule Hund, morgens zum Fluss gegangen.
    Er hatte sein altes Ruderboot an dem ruhigeren Flussabschnitt neben dem morschen Steg bei dem großen Schilfdickicht festgemacht. Es war immer Wasser im Boot, das gegen die Planken schwappte, sobald sich der Kahn bewegte. Dick hatte sich nie die Mühe gemacht, das Wasser herauszuschöpfen. Er wusste, es wäre schnell wieder da, die Arbeit lohnte nicht. Dick stieg
mit dem linken Fuß in das Boot und stieß sich mit dem rechten am Ufer ab. Es war Mittwoch, und mittwochs ging er immer angeln. Er wusste selbst nicht mehr, warum, es hatte sich einfach so ergeben. Für sich zu sein und seine Ruhe zu haben. Das war’s.
    Deswegen war er alles andere als begeistert, als der knorzige Scott McClure, wild mit den Armen fuchtelnd und irgendetwas Unverständliches brüllend, auf ihn zugerannt kam.«Ach du Scheiße!»Angst kroch sein Rückgrat hoch und setzte sich im Nacken fest. Sein Angeltag war in Gefahr. Er legte sich richtig in die Riemen. Als McClure am Steg ankam, war Dick schon in der Mitte des Flusslaufs. Unerreichbar für den alten Stinker, wie er zufrieden dachte.
    «Dick, warte verdammt noch mal», war alles, was McClure herausbrachte, er nahm sein zerknautschtes Basecap in die rechte Hand-ein Überbleibsel aus seiner ebenso kurzen wie erfolglosen Zeit im Profi-Baseball - und kratzte sich, schwer atmend, mit der Linken an der Stirn.
    «Was willst du? Mach, dass du wegkommst, du vertreibst mir meinen Hecht!»
    «Aber der sitzt doch nicht hier.»
    «Wer von uns beiden ist hier der Angler? Zur Hölle, was willst du?»Der Tag war hin, da gab es für Dick keinen Zweifel. Wenn etwas schon so anfängt, sollte man eigentlich nach Hause gehen, sich auf sein Sofa legen und darauf hoffen, dass es schnell dunkel wird. All die Jahre hatte ihn niemand an seinem Angeltag gestört. Das lag daran, dass niemand davon wusste, offiziell
zumindest nicht. Dicks Schultern sackten nach vorn, er vergrub sein Gesicht kurz in den Händen und schüttelte den Kopf. Er konnte es einfach nicht glauben.«Hey, du Stinkstiefel, gerade eben war der Morgen noch schön. Und wenn du nicht gekommen wärst, dann hätte ich mit Sicherheit dieses Mistvieh gefangen!»
    «Dick», brüllte Scott McClure,«dein Pick-up ist wieder da!»
     
    Nachdem Ben Simmons, wie er immer wieder gern erzählte, es unter Einsatz seines Lebens geschafft hatte, die Ladefläche des Pick-ups ohne Handschuhe zu überqueren, war er in einem Heidentempo in die Stadt gerannt. Er hatte seinen Lauf erst im Sprechzimmer von Doctor Forks mit einer Vollbremsung und einem verzweifelten, gellenden«Ich bin vergiftet!»beendet. Es war ihm gleichgültig, dass der Arzt gerade den Bauch der hochschwangeren Annie Drake abhörte. Es war ihm egal, dass Schwester Agnes sich unter lautem Fluchen vom Empfang hinter ihm herwuchtete.
    Und es war ihm ebenso egal, dass Annie Drake einen schrillen Schrei losließ und Doctor Forks Kopf rot anschwoll. Simmons ließ sich auf den Boden fallen. Einerseits, weil ihn die schiere Wucht von Schwester Agnes’ Körpergröße einschüchterte, andererseits, weil er sich wirklich sehr schwach fühlte.
    «Ben Simmons, jetzt reicht’s mir mit dir!»Agnes packte Simmons am Kragen und schleifte ihn auf seinem Hintern aus dem Sprechzimmer.
    «Aber es geht um Leben und Tod!», wimmerte Simmons,
um sie für sein Anliegen zu gewinnen. Er ließ sich ohne Widerstand auf den frisch gewischten Fliesen durch die Praxis ziehen.
    «Das ist noch lange kein Grund, einfach so an mir vorbeizurauschen, hast du mich verstanden?»Sie ließ Bens Kragen los und verwies den Störenfried mit einem energischen Fingerzeig auf einen Stuhl gegenüber ihres
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