Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Phönix

Titel: Phönix
Autoren: Unbekannter Autor
Vom Netzwerk:
über den Rand des Briefes hinweg klar an. »Er hat sein Examen mit durchschnittlich achtzig bestanden. Nur in Mathematik hatte er einige Schwierigkeiten.«
    Ich grinste sie an. »Kein Grund zur Aufregung. Das hätte mir auch Kummer gemacht, wenn ich aufs College gegangen wäre.« Ich war gerade mit meinem Orangensaft fertig, als Sally, unser Mädchen, meine Eier mit Speck brachte.
    Zwei Dinge mochte ich besonders gern. Eier zum Frühstück und am Morgen eine Dusche. Beides waren Genüsse, die ich als Kind nicht gekannt hatte. Wir hatten nie viel Geld. Mein alter Herr verdiente sich als Taxifahrer seinen Lebensunterhalt. Noch heute, trotz seiner vierundsechzig Jahre. Das einzige, was ich für ihn tun durfte, war: ihm ein eigenes Taxi kaufen. In vieler Hinsicht war er ein Kauz. Er wollte nicht zu uns ziehen, nachdem Mama gestorben war. »Würde mich nicht wohl fühlen, so weg von der Hochbahn an der Third Avenue.«
    Es war aber auch noch etwas anderes. Er wollte nicht von Mama weg. In dieser langgestreckten Wohnung an der Bahn würde es immer etwas geben, was an sie erinnerte. Ich konnte es ihm nachfühlen, und so ließen wir es dabei bewenden.
    »Was schreibt der Junge denn sonst noch?« fragte ich. Ich hatte mir aus irgendeinem Grund vorgestellt, daß Jungens im College in ihren Briefen nach Hause stets um Geld bitten würden. Insgeheim war ich direkt enttäuscht, daß Brad nie um irgendwelche Sonderzahlungen bat. Sie schaute beunruhigt aus, als sie mich jetzt ansah. Sie deutete mit dem Finger auf den Brief: »Hier unten schreibt er, daß er sich schon acht Tage lang, seit dem Examen, mit einer Erkältung herumplagt und daß er den Husten nicht los wird.« Ihre Stimme klang besorgt. Ich lächelte ihr zu. »Er kommt schon wieder in Ordnung«, versicherte ich ihr. »Schreib ihm, er soll zu einem Arzt gehen.«
    »Das macht er ja doch nicht, Brad«, entgegnete sie. »Du weißt doch, wie er ist.«
    »Sicher«, antwortete ich zwischen zwei Bissen. »So sind nun mal alle Jungens. Aber eine Erkältung ist wirklich eine Kleinigkeit. Die schüttelt er schon wieder ab. Er ist ja ein kräftiger Bursche.«
    In diesem Augenblick kam Jeannie zum Frühstück. Wie üblich, war sie sehr in Eile. »Bist du schon fertig, Dad?« erkundigte sie sich.
    Ich schaute sie lächelnd an. Das war meine Tochter! Sie war wie ihre Mutter, nur verwöhnt. »Na, wo brennt's denn? Ich muß noch meinen Kaffee trinken.«
    »Aber dann komme ich doch zu spät zur Schule!« protestierte sie. Ich betrachtete sie liebevoll. Sie war maßlos verwöhnt. Und ich allein war schuld daran. »Die Omnibusse sind den ganzen Morgen lang gefahren«, sagte ich zu ihr. »Du hättest nicht auf mich zu warten brauchen.«
    Sie legte ihre Hand auf meinen Arm und küßte mir die Wange. An so einem Kuß, den eine Sechzehnjährige ihrem Vater gibt, ist schon was dran.
    »Ach, Daddy«, schmollte sie. »Du weißt doch, wie gern ich mit dir zur Schule fahre.«
    Ich grinste, obwohl ich genau wußte, daß sie schwindelte. Ich kann's nicht ändern. Mir machte es Spaß. »Du wartest ja bloß auf mich, weil ich dich fahren lasse«, neckte ich sie.
    »Vergiß nicht, daß ich dein neues Kabrio auch recht gern mag«, zahlte sie es mir heim, und ihre braunen Augen lachten. Ich blickte zu Marge hinüber. Ein stilles Lächeln lag um ihren Mund, während sie uns beobachtete. Sie wußte, wie es weitergehen würde.
    »Was mache ich bloß mit diesem Mädchen?« stöhnte ich und tat völlig hilflos.
    Sie antwortete immer noch lächelnd: »Zu spät, um das zu tun, was du längst hättest tun müssen! Jetzt nimmst du sie am besten mit.«
    Ich leerte meine Kaffeetasse und stand auf: »Na schön«, sagte ich.
    Jeannie grinste mich an: »Ich hol' dir Hut und Mantel, Dad.« Sie rannte in den Flur.
    »Kommst du heute zeitig nach Hause, Brad?«
    Ich drehte mich zu Marge um. »Weiß noch nicht«, antwortete ich. »Kann sein, daß ich mit Chris über dem Projekt für die Stahlfritzen festsitze. Aber ich tue mein möglichstes, darauf kannst du dich verlassen.«
    Sie stand auf und kam um den Tisch herum auf mich zu. Ich beugte mich hinunter und küßte sie auf die Wange. Sie war weich und zart. Sie hielt mir ihre Lippen entgegen. Ich küßte sie. Es schmeckte gut.
    »Arbeiten Sie nicht zu schwer, mein Herr.« Sie sah mich zärtlich an.
    »Keine Bange, meine Dame«, sagte ich. Vor dem Haus ertönte die Hupe. Jeannie war mit dem Wagen bereits vorgefahren. Ich drehte mich um und ging auf den Ausgang zu.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher