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Phönix

Titel: Phönix
Autoren: Unbekannter Autor
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aufsammelte. Bis sie alles beisammen hatte, war ich mit dem Whisky fertig. Sie schaute mich fragend an. Ich brachte eine Grimasse zustande, die man gerade noch als Lächeln gelten lassen konnte. »Es geht schon wieder«, sagte ich. »Lassen Sie die Verträge hier. Ich schau sie mir später an.« Sie stapelte sie säuberlich auf meinem Schreibtisch und war schon auf dem Weg hinaus, als ich ihr nachrief: »Keine Anrufe, Mickey - und keine Besuche. Ich bin für eine Weile nicht zu sprechen.« Sie nickte und schloß behutsam die Tür hinter sich. Ich ging zum Fenster und starrte hinaus. Der Himmel war von einem kalten winterlichen
    Blau, in das die weißen Häuser der Stadt unbarmherzig hinaufstießen.
    Tausendachthundert Quadratmeter Baufläche in der Madison Avenue, das bedeutete Mieteinnahmen für ungefähr viertausendsechshundert Quadratmeter. Und überall wuchsen die Neubauten wie riesige Ameisenhaufen in die Höhe. Das war ein Teil der großen Konjunktur, und die große Konjunktur war ein Teil von mir.
    Das war's, was ich mir von Jugend an gewünscht hatte. Jetzt wußte ich, wieviel es wert war. Nichts. Aber auch gar nichts. Ein einziger, unbedeutender Mensch auf der Straße war mehr wert als die ganze Stadt zusammen.
    Sie war tot, und ich konnte es nicht glauben. Ich hatte doch noch vor kurzem ihre warmen Lippen gespürt, ihre Stimme an meinem Ohr gehört.
    »Elaine.« Ich sprach den Namen laut vor mich hin. Bisher war das ein sanfter, zärtlicher Laut gewesen; jetzt durchbohrte er mich wie ein Dolch. Warum hast du das getan, Elaine?
    Das Telefon summte. Ich kehrte an den Schreibtisch zurück und nahm ärgerlich den Hörer ab: »Ich bilde mir ein, ich hätte gesagt: keine Anrufe!« schnauzte ich Mickey an.
    »Ihr Vater ist hier«, antwortete sie leise.
    »In Ordnung«, erwiderte ich und wandte mich zur Tür. Unbeholfen betrat er das Zimmer. Vater schaute immer unbeholfen aus, wenn er lief. Manierlich sah er nur aus, wenn er hinter dem Steuer eines Autos saß. Er blickte mich forschend von der Seite an. »Hast du schon gehört?« fragte er.
    Ich nickte. »Paul hat angerufen.«
    »Ich hab's im Autoradio gehört. Da bin ich gleich rübergekommen.«
    »Danke.« Ich ging an den Schrank und nahm eine Flasche heraus. »Ich werd' schon damit fertig.« Ich goß zwei Gläser voll und hielt ihm eins hin.
    Ich kippte meinen Whisky hinunter, er aber behielt sein Glas noch in der Hand.
    »Was wirst du jetzt machen?« erkundigte er sich.
    Ich schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht. Als ich mit Paul telefonierte, dachte ich, ich würde rüberfahren. Aber jetzt weiß ich nicht, ob ich's kann. Ich weiß nicht, ob ich ihr gegenübertreten kann.«
    Er blickte mich immer noch forschend an. »Warum?«
    Ich starrte ihn eine Weile an, dann platzte ich heraus: »Warum? Du weißt genausogut wie ich, warum. Weil ich sie umgebracht habe! Hätte ich mit einem Gewehr auf sie gezielt und abgedrückt, hätte ich auch keine bessere Arbeit leisten können!« Ich ließ mich neben dem Schrank auf einen Stuhl fallen und bedeckte das Gesicht mit beiden Händen.
    Er setzte sich mir gegenüber. »Woher weißt du das?«
    Meine Augen brannten, als ich ihn anschaute. »Weil ich mit ihr ins Bett gegangen bin, sie belog, ihr Versprechungen machte, obwohl ich wußte, daß ich sie nie halten würde. Weil sie mich liebte, mir glaubte, mir vertraute und sich nicht vorstellen konnte, daß ich sie verlassen würde. Als ich es dann tat, gab es nichts mehr für sie auf dieser Welt, weil ich ihre Welt geworden war.«
    Er trank schluckweise seinen Whisky und schaute mich an. Schließlich fing er an zu sprechen. »Du glaubst das wirklich?«
    Ich nickte. Er überlegte einen Augenblick. »Dann mußt du rüberfahren und mit ihr Frieden machen, oder du kommst nie zur Ruhe.«
    »Aber wie kann ich das denn, Vater?« rief ich aus.
    Er stand auf. »Doch, du kannst das«, erklärte er zuversichtlich. »Weil du mein Sohn bist, Bernhard. Du hast viele meiner Schwächen und Fehler, aber ein Feigling bist du nicht! Es mag schwer sein, aber du wirst dich mit ihr aussöhnen.«
    Die Tür schloß sich hinter ihm, und ich war wieder allein.
    Ich blickte auf das Fenster. Die frühe Dämmerung des Winters hatte den Tag bereits ausgelöscht. Es war noch gar nicht so lange her, daß ich sie - an einem Tag wie diesem - zum erstenmal gesehen hatte.
    Irgendwie, in der Zeit zwischen damals und heute, würde ich die Antwort finden.
    1
    Während ich mich rasierte, beobachtete ich sie in der
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