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Philby: Porträt des Spions als junger Mann (German Edition)

Philby: Porträt des Spions als junger Mann (German Edition)

Titel: Philby: Porträt des Spions als junger Mann (German Edition)
Autoren: Robert Littell
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während wir hier sprechen, immer noch nicht verhaftet worden. Die Tatsachen sprechen für sich.«
    Der verurteilte Gefangene sackte auf seinem Hocker in sich zusammen und schüttelte ungläubig den Kopf. »Sie ziehen den Erfolg des Engländers bei seiner Mission im Spanischen Bürgerkrieg nicht mit in Betracht.«
    »In Spanien, wo er als britischer Journalist getarnt angeblich für uns gearbeitet hat, erhielt er den Befehl, den Faschistenführer Franco zu töten. Es überrascht nicht, dass er auch nicht den geringsten Versuch unternommen hat, diesen Befehl auszuführen. Genauso wenig überrascht es, dass sie Telegramme an die Zentrale geschickt haben, um das Versagen des Engländers bei der Ausführung des Befehls zu entschuldigen – schließlich wurden Sie als deutscher Agent enttarnt, und Deutschland steht bekanntlich aufseiten Francos und seiner nationalistischen Armeen.«
    »Der Befehl war grotesk. Der Engländer hatte nur eine Aufklärungsausbildung. Die für die klassische Spionage benötigten Instinkte und Talente befähigen einen Agenten noch längst nicht zum Attentäter. Im Übrigen gab es für einen bewaffneten Ausländer keine Möglichkeit, an Franco heranzukommen, ihn zu töten und dann zu entkommen. Und wäre der Attentäter verhaftet worden und hätte gestanden, so wäre das ein Eklat gewesen, der die begeisterten Franco-Unterstützer Deutschland und Italien womöglich dazu gebracht hätte, der Sowjetunion den Krieg zu erklären. Nur jemand, der völlig wirklichkeitsfern ist, hat einen solchen Befehl erteilen können.«
    Ich nahm die entsprechende Karteikarte in die Hand, kannte den Inhalt aber auswendig: »Der Befehl kam vom Genossen Stalin, der davon ausging, die nationalistischen Armeen und ihre römisch-katholischen Unterstützer würden zusammenbrechen und die Republikaner triumphieren, falls es gelänge, den Faschistenführer Franco auszuschalten.«
    Der schmale Raum war inzwischen von Tageslicht erhellt. Ich sah, dass die Lippen des Gefangenen zitterten. Nach kurzem Schweigen sagte er: »In den Jahren nach seiner Anwerbung hat uns der Engländer mit einer Fülle zutreffender Informationen versorgt.«
    »Doppelagenten sind gezwungen, wahre Informationen zu liefern, um ihre Glaubwürdigkeit zu festigen, damit der Gegner die falschen Informationen schluckt, die sie in ihre Berichte mit einstreuen. Auch Sie, ein Agent der deutschen Abwehr, haben die Zentrale mit zutreffenden Informationen zur deutschen Rüstung und Bewaffnung beliefert, um uns gleichzeitig ein bestimmtes Maß an Fehlinformationen unterzuschieben.«
    »Nennen Sie mir auch nur ein einziges Beispiel für eine Fehlinformation, die ich geliefert haben soll.«
    Ich zuckte mit den Schultern. Wir kamen keinen Schritt weiter. »Sie haben für den Engländer gebürgt und das als verlässliche Informationen weitergegeben, was er in seinen Berichten an Sie geschrieben hat.«
    Ich schob die Karten zusammen, auf denen ich mögliche Fragen notiert hatte. Der Gefangene sah es. »Gehen Sie um Himmels willen noch nicht«, krächzte er. »Ich muss so lange wie möglich mit Ihnen reden.«
    »Ich habe nur eine halbe Stunde …«
    Er zog ein Streichholzbriefchen aus der Tasche seiner Anzugjacke. »Innen auf den Umschlag steht eine Nachricht an den Genossen Stalin. Wenn Sie ihm die überbringen, habe ich noch eine Chance. Noch ist es nicht zu spät. Ganz bestimmt wird er sich an Teodor Stepanowitsch Mali erinnern, an meine treuen Dienste für die Partei während der Revolution und an meinen Einsatz für den Staat in den Jahren danach, bis heute. Er wird die Richter auffordern, ihr Urteil zu überdenken.«
    »Bleistifte sind Gefangenen untersagt.« Ich hielt es für notwendig, ihn daran zu erinnern. »Das ist ein schwerer Verstoß gegen die Vorschriften, der ernste Konsequenzen für Sie haben könnte.«
    Ich sah, wie der Verurteilte das Streichholzbriefchen in meine Richtung hielt und mit seinen Fußeisen auf mich zu schlurfte. »Sie sind meine einzige Hoffnung«, flüsterte er.
    Es ist mir peinlich, zugeben zu müssen, dass ich mehr oder weniger zur Tür stolperte. Ich erinnere mich vage, wie ich mit den Fingerknöcheln klopfte. Erleichtert hörte ich, wie sich der Schlüssel im Schloss drehte. Die Tür öffnete sich. Ich füllte meine Lunge mit der abgestandenen Luft im Gang. Oberleutnant Gussakow stand mit den Genossen aus der Krypta vor der Tür, gedrungenen Männern mit fleckigen Lederschürzen über ihren NKWD-Uniformen, die dicke, selbst gedrehte
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