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Philby: Porträt des Spions als junger Mann (German Edition)

Philby: Porträt des Spions als junger Mann (German Edition)

Titel: Philby: Porträt des Spions als junger Mann (German Edition)
Autoren: Robert Littell
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Straße in die Zentrale der Kommunistischen Partei marschiert, nicht von englischen Agenten fotografiert und unter Beobachtung gestellt wird. Angesichts dessen hatte der Engländer doch kaum eine Chance, die britischen Staatsorgane zu unterwandern, es sei denn …«
    Der Gefangene beendete den Satz: »… es sei denn, sein eigentliches Ziel bestand darin,
unsere
Staatsorgane zu unterwandern und uns mit Fehlinformationen zu füttern.« Er versuchte, die Beine übereinanderzuschlagen, aber die Fußeisen hinderten ihn daran. »Die Genossen des Zentralkomitees sagten ihm, dass sie ihn erst überprüfen müssten, bevor er in die Partei aufgenommen werden könne. Sie sagten, er solle in sechs Wochen wiederkommen. Der Bericht über den Engländer landete dann auf meinem Tisch. Ich habe ihn durchleuchten lassen. Er war in Cambridge Mitglied der berüchtigten Sozialistischen Gesellschaft gewesen, und seine engsten Freunde, seine Bekannten, alle waren wie er leidenschaftliche Linke. Kaum, dass er seinen Abschluss in der Tasche hatte, ist er nach Wien gefahren, um sich an einem kommunistisch inspirierten Aufstand gegen Diktator Dollfuß zu beteiligen. Es wird Ihnen bekannt sein, dass es eine der bewährten Agentinnen der Moskauer Zentrale in Wien war, Litzi Friedmann, die seinen Namen als Erste unseren Organen gegenüber ins Spiel gebracht hat. Ihr erster Bericht beschrieb ihn als einen Marxisten, der die Sowjetunion für die Herzkammer der weltweiten Befreiungsbewegung hält. Er verehrte den Homo sovieticus und glaubte, der internationale Kommunismus würde ein besseres England, eine bessere Welt schaffen. Die Zentrale schickte mich daraufhin nach Wien, um an einer der zweiwöchentlichen Besprechungen Friedmanns mit ihrem Führungsoffizier teilzunehmen. Dabei habe ich selbst gehört, wie sie den Namen erwähnt hat. Ich habe gehört, wie sie gesagt hat, er würde einen hervorragenden Agenten abgeben. Später habe ich in London mit ihr gesprochen, nachdem sie vor Dollfuß aus Wien geflohen war. Wieder betonte sie den Antifaschismus des Engländers und erwähnte nachdrücklich seinen Wunsch, sich der Kommunistischen Internationale anzuschließen. Die Zentrale in Moskau hat all diese Einzelheiten berücksichtigt, als sie seiner Anwerbung durch die Londoner Residentur zustimmte.«
    »Laut der Unterlagen mit dem Aktenzeichen 5581 haben Sie den Engländer persönlich rekrutiert.«
    Er nickte verzweifelt. »Ich habe ein Treffen mit ihm organisiert, auf einer Bank im Regent’s Park, am helllichten Tag. Friedmann brachte ihn zu mir, nachdem sie sich überzeugt hatte, dass sie nicht verfolgt wurden.«
    »Und dann?«
    Dem Gefangenen gelang ein schiefes Lächeln. »Er dachte erst, es ginge um seinen Beitritt zur Kommunistischen Partei. Am Abend zuvor hatte ich mir aufgeschrieben, was ich sagen wollte, ganz so, als würde es sich um ein Hörspiel fürs Radio handeln. Ich spielte meine Rolle perfekt. ›Wenn Sie der Partei beitreten wollen, werden Sie natürlich mit offenen Armen in ihren Reihen aufgenommen werden, erklärte ich ihm. Dann können Sie Ihre Tage damit verbringen, der arbeitenden Klasse den
Daily Worker
zu verkaufen. Nur wäre das eine Verschwendung Ihrer Zeit und Fähigkeiten.‹ Er schien verblüfft. ›Was sind denn meine Fähigkeiten?‹, fragte er. ›Ihrer Herkunft, Ihrer Ausbildung, Ihrem Auftreten und Ihren Umgangsformen nach sind Sie ein Intellektueller. Sie können sich in der Bourgeoisie bewegen, ohne aufzufallen. Die Alternative, die ich Ihnen vorschlagen möchte, birgt durchaus Risiken und ist nicht ungefährlich. Aber der Lohn – sowohl in Form persönlicher Erfolge als auch in Form einer tatsächlichen Verbesserung der Lage der arbeitenden Klasse weltweit – wird immens sein. Sie haben in Cambridge studiert, was allein Ihnen schon die Türen öffnet in den Journalismus, in den auswärtigen Dienst, vielleicht sogar in den Geheimdienst Ihrer Majestät.‹«
    Die Arbeiter draußen vor der Lubjanka hatten begonnen, den Teer der Straße mit Presslufthämmern aufzustemmen. Ich musste an einen meiner Ausbilder denken, der von der Wirksamkeit langen Schweigens während eines Verhörs gesprochen hatte, ohne dass mir ganz klar geworden war, was er damit meinte. Jetzt begriff ich es. Schweigen konnte gerade in diesem Moment besonders nützlich sein, da der Gefangene wusste, er würde hingerichtet werden, sobald das Verhör zu Ende wäre. Es war in seinem Interesse, das Gespräch am Laufen zu halten, und so hielt ich
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