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Philby: Porträt des Spions als junger Mann (German Edition)

Philby: Porträt des Spions als junger Mann (German Edition)

Titel: Philby: Porträt des Spions als junger Mann (German Edition)
Autoren: Robert Littell
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einem Verurteilten eine letzte Zigarette zu«, erwiderte er erschöpft.
    Ich hätte mir gerne ein parfümiertes Taschentuch vor Mund und Nase gehalten und durch den Stoff geatmet. »Uns bleibt nicht viel Zeit«, sagte ich.
    »Sie meinen,
mir
bleibt nicht viel Zeit.«
    »Sie waren der Londoner Resident, als der Engländer rekrutiert wurde«, sagte ich. Ich las von einer meiner Karteikarten ab: »Chiffriertes Telegramm Nummer 2696 aus der Londoner Residentur an die Moskauer Zentrale im Juni 1934: ›Wir haben den Sohn eines bedeutenden britischen Arabisten rekrutiert, der bekanntermaßen ein Vertrauter des saudischen Monarchen ibn Saud ist und Beziehungen bis in die höchsten Ebenen des britischen Secret Intelligence Service haben soll.‹ Das Telegramm ist mit Ihrem Decknamen unterschrieben: ›Mann‹.«
    Der Gefangene sah rasch auf. Seine Augen lagen tief in ihren Höhlen, sie wirkten seltsam tot, als wäre in Erwartung der Exekution bereits alles Leben aus ihnen gewichen. War es denkbar, dass das Licht die Augen verließ, schon bevor das Leben aus dem Körper wich? »Warum geht es immer wieder um den Engländer?«, fragte der Verurteilte. »Ohne Zustimmung der Zentrale habe ich nie auch nur einen Schritt getan.«
    »Die Zustimmung der Zentrale zur Rekrutierung basierte auf Ihrer Einschätzung der Situation«, erinnerte ich ihn.
    »Meine Einschätzung der Situation wurde durch den drängenden Wunsch der Zentrale, in England Agenten anzuwerben, beeinflusst.«
    »Wie oft haben Sie sich mit dem Engländer getroffen?«
    »Darüber habe ich den Überblick verloren.«
    »Die korrekte Antwort wäre neun Mal.«
    »Warum stellen Sie eine Frage, wenn Sie die Antwort schon kennen?« Er schüttelte verärgert den Kopf. »In meiner Funktion als Resident – mal ganz abgesehen davon, dass ich auch sein Führungsoffizier war – gehörte es zu meinen Aufgaben, mich in regelmäßigen Abständen mit dem Engländer zu treffen.«
    »Beschreiben Sie ihn.«
    »Das steht alles in meinen Berichten an die Zentrale.«
    »Ich würde es gerne von Ihnen persönlich hören.«
    Der Gefangene atmete laut durch die Nase ein. »Der Engländer ist im falschen Jahrhundert geboren. Er ist einer der letzten Romantiker. Vielleicht naiv, aber ein Idealist durch und durch. Vor allem ein Antifaschist. Er hält Stalin für ein Bollwerk gegen Hitler, den Kommunismus für ein Bollwerk gegen den Faschismus.«
    »Ist er Ihrer Meinung nach in erster Linie Kommunist oder Antifaschist?«
    »Es war der Ansatz der Zentrale – vergessen wir nicht, dass der Engländers 1934 angeworben wurde –, den antifaschistischen Charakter der kommunistischen Internationale zu betonen und dazu aufzurufen, eine gemeinsame Front gegen die Bedrohung durch Hitler zu bilden. Da ist es nicht erstaunlich, dass wir Agenten rekrutiert haben, die vor allem von ihrem Antifaschismus angetrieben wurden.«
    »Seine Herkunft hat Sie nicht abgeschreckt? Sein ultrakonservativer Vater mit Kontakten nach Saudi-Arabien? Seine Zugehörigkeit zur Oberschicht und seine Eliteausbildung in Cambridge?«
    »Abgeschreckt? Im Gegenteil, gerade seine Herkunft hat mein Interesse geweckt. Ich sah das Potenzial für eine langfristige Unterwanderung. Wir verfügten über ganze Wagenladungen von Kommunisten aus der Arbeiterklasse mit East Londoner Akzent und über Bergarbeiter aus Newcastle, die auf der Hochzeit ihrer Töchter aus dem Kommunistischen Manifest zitierten. Aber nicht einer von denen hätte in einer Unterhaltung in einem Gentlemen’s Club bestehen können. Wie sollten wir mit solchen Leuten die Regierung oder das diplomatische Corps unterwandern, oder besser noch: den britischen Geheimdienst?«
    »Aber der Umstand, dass
er
auf
Sie
zukam und nicht umgekehrt, muss doch zweifellos den Verdacht geweckt haben, dass der britische Geheimdienst dahintersteckte und er
unseren
Geheimdienst unterwandern sollte?«
    »Ich bestreite nicht, dass er nach seiner Rückkehr aus Wien ins Londoner Büro des Zentralkomitees der Britischen Kommunistischen Partei …«
    Ich warf einen Blick auf eine der Karteikarten auf meinem Schoß. »In der King Street Nummer 16.«
    Er schien verblüfft, wie vertraut ich mit dem Fall war. »Genau, er kam in die King Street Nummer 16 und erklärte, er wolle Mitglied der Kommunistischen Partei werden.«
    Damit hatte der Gefangene eine der vielen Unstimmigkeiten im Bericht meines Vorgängers angesprochen. Sehr leise sagte ich: »Es ist wenig glaubhaft, dass jemand, der einfach von der
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