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Pfefferkuchenhaus - Kriminalroman

Pfefferkuchenhaus - Kriminalroman

Titel: Pfefferkuchenhaus - Kriminalroman
Autoren: Carin Gerhardsen
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gleichen Weise schätzten. Und bald hatten sie ihm seine gute Laune und seine Ecken und Kanten ausgetrieben. Damals, in der Vorschule, hatte er wohl begonnen, sich zu dem Menschen zu entwickeln, der er heute war. Die ständigen körperlichen Misshandlungen, verbunden mit Spott und Abweisung, hatten ihn nicht nur in einen stummen Schatten verwandelt, sondern ihm auch jegliches Selbstvertrauen genommen.
    Trotzdem war er dann als Siebenjähriger nicht ohne Begeisterung zur Schule gegangen, neugierig und interessiert. Aber aufzuzeigen, um Fragen zu beantworten, erwies sich von Anfang an als völlig unmögliches Unterfangen. Wusste er doch, dass man niemals glauben durfte, etwas Besseres zu sein. Wenn ihm trotzdem eine Frage gestellt wurde und es ihm tatsächlich gelang, sie richtig zu beantworten, gab es Getuschel und vielsagende Blicke unter den anderen Kindern. Wenn er falsch antwortete, erntete er allgemeines Gelächter. Einige der Plagegeister aus der Vorschule gingen in seine Klasse, und die Kinder, die ihn noch nicht kannten, hatten schnell begriffen, wie sie mit ihm umgehen mussten. In den Pausen verprügelten sie ihn, sangen Spottverse, und oft stand er einsam da und schaute den anderen Kindern beim Spielen zu. Schon in der Grundschule kam es vor, dass er an einzelnen Tagen den Unterricht versäumte, weil er zu Hause krank im Bett lag – Kopfschmerzen und Bauchweh – oder eine Krankheit simulierte. Seine schulischen Leistungen begannen, darunter zu leiden, und in der neunten Klasse ging er ab. Er bekam einen Praktikumsplatz in einer Kurzwarenhandlung zugeteilt, wo er das tat, was ihm aufgetragen wurde.
    Was seine Person betraf, war die Zeit seiner Ausbildung ein verschenktes Jahrzehnt gewesen, aber vielleicht war es für die Kinder, die heute heranwuchsen, besser geworden. Neulich hatte man in den Nachrichten einen Bericht über das vorbildliche »Projekt Katrineholm« gezeigt. So nannte es jedenfalls der Nachrichtensprecher, während es der aufgeblasene Landrat Göran Meijer in einem Interview als »Projekt Skogskullen« bezeichnet hatte, nach der Grundschule, die als erste ein erfolgreiches Konzept gegen Mobbing an Schulen eingeführt hatte. Er fragte sich, ob diese neuen Methoden, die mit so großen Worten beschrieben wurden wie »Respekt für das Individuum«, »Körperkontakt«, »Erwachsenenaufsicht« und »Patentätigkeit«, auch dem Dialekt von Huskvarna und Värmbol-Mützen Rechnung trugen.

    Als er sein Praktikum in der Kurzwarenhandlung beendet hatte, zog er nach Stockholm, wo er bei einem Großonkel einquartiert wurde, der allein in einer Einzimmerwohnung auf Kungsholmen wohnte. Nachdem er auf dem zweiten Bildungsweg seinen Schulabschluss nachgeholt hatte, gelang es ihm gegen alle Wahrscheinlichkeit und ohne weitere Qualifikationen, den Job zu ergattern, den er immer noch hatte. Onkel Gunnar war mittlerweile gestorben, und die Wohnung gehörte jetzt ihm allein.

    Plötzlich wurde er in seinen Gedanken unterbrochen und erstarrte. Er blieb auf dem Zebrastreifen stehen, mitten auf der Straße vor dem Haus, in dem sich seine Wohnung befand. Irgendetwas an dem Mann, dem er gerade begegnet war, kam ihm sehr vertraut vor, und ohne dass er eine Ahnung hatte warum, drehte er sich um und folgte ihm. Die hellblauen Augen und das blonde, lockige Haar, der zielbewusste Gesichtsausdruck, eine Narbe an der linken Augenbraue, seine Art zu gehen – alles stimmte. Aber war es wirklich möglich, einen Menschen wiederzuerkennen, den man mit sechs oder sieben Jahren zum letzten Mal gesehen hatte? Wahrscheinlich ließen ihn die Gedanken, die er sich unlängst über das viel gepriesene Projekt Katrineholm gemacht hatte, plötzlich Gespenster sehen.
    Seine Zweifel gründeten auf Vernunft, aber seine Gefühle sagten ihm etwas anderes. Er hatte ihn fast täglich in seiner Erinnerung heraufbeschworen. Es konnte keinen Zweifel daran geben, dass er es wirklich war.
    Der Mann stieg die Treppe zur U-Bahn hinunter und ging mit raschen Schritten auf die Schranke zu, zog mit geübter Hand seine Dauerkarte durch den Leseschlitz und schob sich durch das Drehkreuz. Nicht einmal auf der langen Rolltreppe, die in die Unterwelt hinabführte, hörte er auf zu gehen. Auf dem Bahnsteig angelangt, zog er eine Abendzeitung aus der Jackentasche und blätterte ein bisschen darin herum, während er auf die Bahn wartete.
    Die ganze Zeit hatte er zehn, zwölf Meter Abstand gehalten, schließlich setzte er sich hinter ihm auf eine Bank, während
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