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Pfefferkuchenhaus - Kriminalroman

Pfefferkuchenhaus - Kriminalroman

Titel: Pfefferkuchenhaus - Kriminalroman
Autoren: Carin Gerhardsen
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wurde, hatte sie auch schon wie eine Oma ausgesehen. Sie hatte merkwürdige Hüte getragen und ihr borstiges graues Haar in einem strammen Dutt zusammengebunden. Selbst auf Bildern, die offensichtlich im Sommer aufgenommen worden waren, hatte sie sich dick in einen warmen Mantel, einen Schal und solide Winterschuhe eingepackt.
    Wie Katarina zustande gekommen war, war ein tief verborgenes Geheimnis, ein Vater war niemals erwähnt worden. Ihre Mutter hatte sie alleine aufgezogen, und während ihrer ganzen Kindheit hatte sie stets großen Wert darauf gelegt, dass Katarina sauber und ordentlich gekleidet war. Sie sollte sich wie eine kleine Dame benehmen und artig und gehorsam sein. Und das war sie auch, aber trotzdem schien die Mutter nicht richtig zufrieden mit ihr zu sein. Immer wenn Katarina verprügelt und mit zerrissenen Kleidern aus der Schule nach Hause gekommen war, war sie mit nichts als Beschimpfungen empfangen worden.
    Ihre Mutter war eine Mutter auf ihre eigene Art. Sie widmete den größten Teil ihrer Zeit der Tochter, aber Wärme und Nähe gab es dabei nicht.
    Es ging um Erziehung, Lernen und Hausaufgaben. Katarinas Mutter war meilenweit entfernt von den Mamas in den Märchenbüchern der Bibliothek, in der sie arbeitete, und den Mamas aus der Wohnsiedlung, in der sie lebten. Sie erinnerte mehr an eine Gouvernante, die neben ihr saß und alles beobachtete, was sie tat, um ihr hinterher Noten dafür zu geben. Umarmungen hatte es zwar gegeben, wenn es Zeit war, ins Bett zu gehen, aber sie waren zu hart und immer von Ermahnungen begleitet, was sie am folgenden Tag besser machen könnte. Katarina war stets mit einem Gefühl des Versagens eingeschlafen, mit dem Bewusstsein, dass sie etwas Falsches oder Unrechtes getan hatte, für das sie büßen müsse. Trotzdem liebte sie ihre Mutter, sie liebte sie mehr, als jemals irgendein Mensch einen anderen Menschen geliebt hatte.
    Mittlerweile hatte sich das Verhältnis zu ihrer Mutter verändert. Diese Veränderung war fast unmerklich vor sich gegangen, und Katarina hatte keine Ahnung, was den Anstoß zu dieser Umkehr der Machtverhältnisse gegeben hatte. Vielleicht war es nur das zunehmende Alter, das ihre Mutter weicher hatte werden lassen. Sie freute sich jetzt immer, wenn sie Katarina sah. Sie tat alles, damit ihre Tochter sich wirklich willkommen bei ihr fühlte, verwöhnte sie, wenn sie nach Hause kam. Früher hätte sie das nie getan. Manchmal lebte Katarina zusammen mit ihrer Mutter in der Wohnung in Sundbyberg, die sie gemietet hatten, weil Katarina plante, ein Jurastudium an der Universität Stockholm aufzunehmen. Das Studium musste sie abbrechen, bevor sie überhaupt richtig begonnen hatte. Sie wurde von Panikattacken heimgesucht, und das löste eine Depression nach der anderen aus. Schließlich kam sie in eine psychiatrische Klinik, wo sie viele Jahre verbrachte und in die sie seitdem in mehr oder weniger regelmäßigen Abständen immer wieder zurückkehrte.
    Sie fragte sich, was ihre Mutter wohl denken würde, wenn sie wüsste, was sie getan hatte. Sie hatte immer darauf geachtet, dass ihre Mutter nichts von dem merkte, was in der Schule passierte. Ihre Mutter hätte nur geglaubt, sie hätte die anderen Kinder absichtlich gegen sich aufgebracht. Und diese Vorstellung hätte ihre Mutter noch viel schlimmer gefunden als die kaputten Klamotten, die abgeschürften Knie und die blauen Flecken. Katarina schauderte bei dem Gedanken daran, wie ihre Mutter auf die Nachricht reagieren würde, dass ihr geliebtes kleines wohlerzogenes Mädchen eine Mörderin war. Sie würde es nicht überleben. Sie hatte jetzt schon ein schwaches Herz, eine solche Nachricht würde sie bestimmt auf direktem Weg ins Grab befördern.
    Und trotzdem hatte sie es getan. Obwohl sie wusste, dass der einzige Mensch, der sich je um sie gekümmert hatte, daran sterben würde, hatte sie es getan. Ihr Egoismus und ihre Selbstbezogenheit hatten die Oberhand gewonnen, so wie es ihre Mutter immer schon befürchtet hatte. Sie war dabei, das Verbotenste zu tun, nur um ihrem Leben ein bisschen Würde und ein bisschen Spannung zu geben – und vielleicht auch ein wenig Genuss.
    Sie schüttelte diese Gedanken mit einem kurzen Lachen ab und warf einen Blick zu der Frau auf dem Sofa hinüber. Pisste sie sich schon wieder in die Hose? Vielleicht hätte sie sie doch auf die Toilette gehen lassen sollen. Der Gestank im Zimmer würde unerträglich werden, falls sich das Ganze noch in die Länge zog. Aber die
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