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Pestmond (German Edition)

Pestmond (German Edition)

Titel: Pestmond (German Edition)
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Rasch vergrößerte er das Loch auf das notwendige Maß, dachte kurz daran, was die verstrichenen Jahrhunderte dem Inneren des Gebäudes und seiner Festigkeit angetan haben mochten, und sprang dann doch entschlossen hinab.
    Es war, als würde das gesamte Gebäude unter seinem Aufprall erzittern. Der hochgewirbelte Staub nahm ihm die Sicht und ließ ihn husten, Steine lösten sich von der Decke und gingen wie ein schwerer steinerner Regen um ihn herum nieder. Eines der gezackten Bruchstücke schrammte an seiner Schläfe entlang und hinterließ eine blutige Schramme. Schmerz durchzuckte ihn. Als er wieder sehen konnte, hatte sich der Staub halbwegs gelegt.
    Andrej trat einen halben Schritt zur Seite, um nicht noch einmal getroffen zu werden, wedelte mit der Hand vor dem Gesicht und hielt den Atem an, um den Hustenreiz in seiner Kehle zu unterdrücken. Viel konnte er immer noch nicht erkennen. Durch das Loch, das er in die Seitenwand gebrochen hatte, fiel vielleicht zum ersten Mal seit einem Jahrtausend Licht herein, doch nun schien die Dunkelheit dahinter umso tiefer. Der Großteil des Raumes war mit einer knöcheltiefen Schicht aus Staub bedeckt, den sein rüdes Eindringen gerade genug aufgewirbelt hatte, dass er sehen konnte, wie sorgfältig und kunstvoll der Stein darunter bearbeitet worden war. Andrej meinte, Reliefs von Menschen und Tieren sowie Hieroglyphen zu erkennen, gänzlich anders als alles, was er bisher in diesem Land gesehen hatte. Eine Erinnerung regte sich, doch er ließ es nicht zu. Ganz gleich, wer dieses Gebäude errichtet hatte und wozu, hier würde er Abu Dun beisetzen, denn es war ein Grab, wie es einem Mann wie ihm zustand.
    Mit deutlich mehr Mühe, als er es erwartet hatte, stieg er wieder nach draußen, erweiterte den gewaltsam geschaffenen Eingang noch einmal um ein gutes Stück und brauchte dann all seine Kraft, um seinen toten Freund einigermaßen würdevoll nach unten zu schaffen.
    Wenn es hier einmal eine Einrichtung gegeben hatte, dann war sie schon zu Staub zerfallen, lange bevor Andrej geboren wurde, doch am Rande des erhellten Bereichs fand er einen breiten steinernen Sims, auf dem er Abu Dun behutsam ablegte.
    Jetzt gab es nicht mehr viel für ihn zu tun, und damit war der Moment gekommen, vor dem er sich am meisten gefürchtet hatte. Tief in seinem Inneren hatte er sich noch lange nicht mit Abu Duns Tod abgefunden – wie sollte er auch, hatte er ihn doch unzählige Male sterben und genauso oft wiederauferstehen sehen. Doch wenn er jetzt ging, akzeptierte er das Unvorstellbare endgültig.
    Er ließ sich noch einmal neben Abu Dun auf die Kante des Simses sinken und griff nach dessen unversehrter Hand. Mit der anderen nahm er das Ende von Abu Duns Turban und drapierte es wie einen Schal auf seiner Brust – eine Geste, von der er selbst wusste, dass sie keinem anderen Zweck diente als dem, Zeit zu schinden.
    Plötzlich hatte er das Gefühl, nicht mehr allein mit Abu Dun zu sein. Ein sachtes Rascheln erregte seine Aufmerksamkeit, ohne dass er hätte sagen können, aus welcher Richtung es kam. Er setzte sich auf, lauschte in die Dunkelheit hinein und legte die Linke auf den Schwertgriff, doch da war niemand, gegen den er die Waffe hätte richten müssen. Er lauschte, vernahm ein Trippeln und fuhr herum. Aus der Dunkelheit hinter Abu Dun kroch ein Skorpion heran, schwarz, fast so groß wie eine Männerhand und ohne die geringste Spur der natürlichen Scheu vor dem Menschen, die diese Tiere normalerweise an den Tag legten.
    Der Skorpion war riesig, aber er kannte diese Art und wusste auch, dass sie nicht giftig war, sondern sich nur auf ihre gefährlichen Stacheln und die Ehrfurcht gebietenden Scheren verließ. Doch der Gedanke, dieses Ungeziefer könnte seinen toten Freund berühren, war ihm zuwider, also wedelte er heftig mit der freien Hand, um es zu verscheuchen. Der Skorpion kam jedoch ungerührt näher, krabbelte über Abu Duns Beine und Leib und schließlich auf seinen rechten Arm. Andrej beugte sich vor und schlug nach ihm, doch das Tier wich seiner Hand mit einer geschickten Bewegung aus, huschte weiter und grub seinen Stachel tief in den durchgebluteten Verband an Abu Duns Armstumpf.
    Das war mehr, als Andrej ertrug. Blitzartig packte er zu und zerquetschte das Tier in der Faust.
    Dennoch war er nicht schnell genug. Mit einer letzten Zuckung rammte der sterbende Skorpion seinen Stachel tief in sein empfindliches Fleisch zwischen Daumen und Zeigefinger. Andrej schrie vor Pein und
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