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Pestmond (German Edition)

Pestmond (German Edition)

Titel: Pestmond (German Edition)
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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zerbricht, doch er wurde mit ein wenig mehr Bewegungsfreiheit belohnt.
    Hamed sah ihn stirnrunzelnd an, und etwas Neues erschien in seinen Augen. Andrej war nicht sicher, ob es ihm gefiel. »Dein Freund war Kat-Esser?«
    »Woher weißt du das?«, fragte Andrej, aufs Neue argwöhnisch.
    »Man kann es riechen.« Der alte Mann zog demonstrativ die Luft durch die Nase ein. Dann lächelte er. »Und es erklärt auch seinen Tod. Diese Verletzung war zweifellos schlimm, aber du hast sie gut versorgt, und dein Freund scheint mir ein sehr starker Mann gewesen zu sein.«
    »Der Stärkste, dem ich je begegnet bin.«
    Hamed stand auf und maß Abu Dun mit einem langen Blick, wie um sich von der Wahrheit dieser Behauptung zu überzeugen. Andrej nutzte die Gelegenheit, um sich endgültig aus Abu Duns totem Griff zu befreien. Diesmal war der Schmerz so schlimm, dass ihm die Tränen in die Augen schossen. Zwar zuckte Andrej nicht mit der Wimper, doch das helle Knacken, mit dem sein Mittelhandknochen endgültig brach, konnte nicht einmal Hamed entgehen. Sein Stirnrunzeln vertiefte sich. Andrej gestattete sich ein schmerzliches Kräuseln der Lippen und schob seine gebrochene Hand unter die Achselhöhle, wie es viele in der irrigen Annahme tun, der Schmerz ließe sich so lindern.
    »Ich kann dir helfen«, sagte Hamed. »Wenn du Hilfe annimmst.«
    »Mit meiner Hand? Das ist nichts.«
    »Mit deinem Freund.« Hamed schüttelte so heftig den Kopf, dass sein Turban verrutschte und er ihn mit beiden Händen festhalten musste. Hastig schob er ihn zurück, doch Andrej entging nicht die hässlich gezackte Narbe, die hoch auf seiner Stirn begann und unter dem Turban verschwand, als hätte vor langer Zeit jemand versucht, ihm den Schädel zu spalten. Die Bewegung erinnerte ihn auf so unheimliche Art an Abu Dun, dass er zusammenfuhr und den älteren Mann anstarrte. Auch der Nubier hatte diese Geste oft gemacht, und manchmal sogar, wenn sie gar nicht nötig gewesen war.
    »Wieso?«, brachte er mühsam hervor und viel zu spät.
    »Du hast recht«, sagte Hamed. »Der Prophet sagt, dass der Leib in die Erde gelegt werden muss, bevor die Sonne zum zweiten Mal aufgeht, und es ehrt dich, dass du deinem Freund diesen letzten Dienst erweisen willst, obwohl du nicht einmal an denselben Gott glaubst. Aber es ist die Absicht, die zählt, nicht immer das Ergebnis. Allah wacht über unsere Taten, aber er schaut auch in unsere Herzen. Er wird deinen Freund nicht dafür bestrafen, dass deine Hände nicht stark genug waren, um in Felsen zu graben. Und dich auch nicht.«
    Andrej starrte ihn an.
    »Nicht weit von hier gibt es einen Felsen mit natürlichen Höhlen«, fuhr Hamed fort, als ihm klar wurde, dass Andrej nicht sprechen würde. »Wir können deinen Freund dort hinbringen und in einer der Höhlen bestatten. Es ist kein richtiges Grab, aber so können sich wenigstens keine Tiere an seinem Fleisch vergehen.«
    Wäre es nicht Abu Dun gewesen, von dem der alte Mann sprach, hätte Andrej wahrscheinlich mit einer abfälligen Bemerkung geantwortet oder gar gelacht. Wer, wenn nicht er, sollte wissen, dass da weit mehr war als eine Hülle aus Fleisch und Knochen und Blut. Der Körper war nicht wichtig, nur Fleisch ohne Bedeutung. Abu Dun hätte nichts dagegen gehabt, wenn sich Tiere an seiner Hülle gütlich taten. Aber das tote Fleisch zu seinen Füßen war auch das seines Freundes, und so fragte er:
    »Wo ist diese Höhle?«
    »Nicht sehr weit von hier für einen Mann mit so jungen Beinen wie dich«, antwortete Hamed. »Aber viel zu weit, um deinen Freund zu tragen. Ich muss zurück in mein Dorf und einen Wagen holen. Vielleicht eine Stunde hin und zurück. Du kannst hier bei ihm auf meine Rückkehr warten.«
    Ohne etwas zu erwidern, ließ sich Andrej in die Hocke sinken, lud Abu Duns leblosen Körper auf die Arme und erhob sich wieder. Hamed starrte ihn mit aufgerissenen Augen an. »Diese Höhle«, sagte Andrej. »Bring mich hin!«

Kapitel 2
    D ie Höhle war nicht wirklich eine Höhle, so wenig wie der Felsen ein Felsen war. Hamed und den Seinen moch te der zyklopische Buckel mit seinen abgeschliffenen Spitzen und zerfurchten Flanken so vorkommen, doch Andrejs geschultes Auge erkannte das Gebilde schon aus der Entfernung als etwas von Menschenhand Erschaffenes, auch wenn es so alt sein musste, dass das Wissen um seine Entstehung schon vor langer Zeit aus dem Gedächtnis der Menschen verschwunden war und irgendwann auch aus ihren Legenden. Hamed konnte es nicht
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