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Perlentöchter

Perlentöchter

Titel: Perlentöchter
Autoren: J Corry
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schlechte Seiten zum Vorschein.
    Als Aveline, die sich in ihrem Haus unten aufhalten und auf eine Art mit dem Dienstpersonal plaudern durfte, die Louisa ganz sicher nicht erlaubt war, ihr daraufhin Einzelheiten ins Ohr flüsterte, hatte Louisa sich diese mit der zügellosen Fantasie ihrer Mitschülerin erklärt. Die Geschichten, die Aveline während des Unterrichts zum Besten gab, erinnerten nämlich stark an Groschenheftromane, von denen Louisa gehört hatte. Aber inzwischen war ihr klar, dass Aveline auf diesem einen Gebiet nicht übertrieben hatte. Bedeutete das also, dass die andere Sache auch stimmte?
    Louisa setzte sich in ihrem Bett auf, die langen dunklen Locken über die Schulter gefächert, bevor sie hochgesteckt werden mussten, raffte die Decke an sich und kostete diese Zeit am Morgen aus, wenn James das Zimmer für seine »Runden«, wie er es nannte, verlassen hatte und Louisa sich selbst überließ, bis das Mädchen kam. Seit dem Sommer brauchte sie keine Baumwollbinden mehr, die sich immer so unbequem in ihrer Unterwäsche anfühlten, und nun war bald Weihnachten. War es also möglich, wirklich möglich, dass sie in anderen Umständen war, so wie ihre frühere Mitschülerin es beschrieben hatte?
    Zögernd schwang Louisa die Beine über die Bettkante, ging hinüber zu dem hohen Mahagonispiegel und hob ihr langes weißes Nachthemd hoch. Ihr Bauch war tatsächlich leicht gewölbt. Aber das konnte auch an den Speisen liegen, die der Koch auf den Tisch brachte. Früher, als sie noch in ihrem Elternhaus lebte, war ihr oft nicht nach Essen zumute gewesen. Der Anblick ihrer Mutter, die schweigsam und mit leerem Blick am anderen Ende der Tafel saß, hatte ihren Appetit nicht gerade begünstigt.
    Armer Papa, dachte sie, während sie ihr Nachthemd fallen ließ und sich kurz richtete, bevor das Dienstmädchen kam. Er hatte kein leichtes Leben. Kein Wunder, dass er immer so lange in seinem Atelier blieb. Ihr Gesicht hellte sich auf, als sie sich daran erinnerte, dass er sie für den heutigen Tag eingeladen hatte, ihm Gesellschaft zu leisten. Vielleicht würde sie sich ihm anvertrauen.
    Das Atelier war wie immer ein Durcheinander aus Farben. Grün, Blau, Rot und Orange, alle in Klecksen auf Holzbrettern, die Papa Malpaletten nannte. Normalerweise machte der Ölgeruch Louisas Nase frei, sobald sie den Raum betrat, wie früher auf dem Fischmarkt, wenn sie als Kind die Köchin angebettelt hatte, sie mitzunehmen. Aber heute drehte sich ihr davon der Magen um, und sie spürte einen leicht merkwürdigen Geschmack im Mund, ähnlich wie damals von dem Viertelpenny, an dem sie als Mädchen einmal geleckt hatte, um herauszufinden, wie er schmeckte, was ihr einen strengen Tadel eingebracht hatte.
    Nun richtete sich Louisas Blick direkt auf die Staffelei, wo eine schöne Frau mit blauen Augen und passender Haube, die keck unter dem Kinn zusammengebunden war, auf eine ferne, unsichtbare Landschaft hinausblickte.
    Es war doch immer wieder dasselbe!
    Egal, von wem Papa beauftragt wurde, seine Motive verwandelten sich alle in dieselbe Frau. Kein Wunder, dass er sich über wenig Arbeit beklagte: Nicht alle seine Kunden wünschten, dass die Porträts ihrer Frauen oder Töchter eine auffällige Ähnlichkeit hatten mit der Frau des Künstlers.
    »Sie war so schön, deine Mutter.« Ihr Vater redete, ohne sich umzudrehen. »Dieser bezaubernde Schwanenhals.«
    Louisa nickte und berührte fast unbewusst ihren eigenen. Sie hatte den gleichen Hals wie ihre Mutter. Beinahe zu lang, dachte sie, obwohl es stimmte, dass die Perlen gut dazu passten. Inzwischen hatte sie sich daran gewöhnt, tatsächlich vergaß sie sogar hin und wieder, dass sie um ihren Hals lagen und geriet dann sofort in Panik, sie könnten heruntergefallen sein. Ein Erbstück wie die Perlen zu verlieren war etwas, was James und ihre Familie ihr nie verzeihen würden.
    »Du hättest sie sehen sollen, bevor sie krank wurde.«
    Louisa hasste es, wenn ihr Vater so zu reden begann. Die Erfahrung hatte sie gelehrt, dass einem dann nichts anderes übrig blieb, als geduldig zuzuhören. Während sie auf die Farben an der Seite blickte, fragte sie sich, ob sie es wagen sollte, ihren Wunsch zu äußern, den sie immer äußerte und den er jedes Mal auf dieselbe Art beantwortete.
    »Papa, darf ich …«
    Sie hielt inne.
    Er wandte sich um und sah sie nun auf dieselbe Art an wie damals, als sie ihm gesagt hatte, dass sie es vorziehe, nicht zu heiraten, niemals, und dass es ihr eigentlicher
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