Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Perdido Street Station 02 - Der Weber

Perdido Street Station 02 - Der Weber

Titel: Perdido Street Station 02 - Der Weber
Autoren: China Miéville
Vom Netzwerk:
Kopfzeile – 9. Tathis 1779 – erkannte er, dass es sich um die aktuelle Ausgabe handelte. Er überflog die Artikel. Er schüttelte den Kopf.
    »Übersehe ich da was?«, fragte er.
    »Sieh dir die Leserbriefe an.«
    Er schlug die Seite um. Da war es, die zweite Zuschrift von oben. In dem gleichen förmlichen, gedrechselten Stil abgefasst wie die anderen, aber was den Inhalt anging, nicht zu vergleichen.
    Über dem Lesen wurden Isaacs Augen immer größer.
     
    Sehr geehrte Dame, verehrte Herren,
     
    es drängt mich, Ihnen meine Bewunderung für Ihre exquisite künstlerische Gestaltungsfähigkeit auszusprechen. Mich der Bewahrung und Förderung derselben verpflichtet fühlend, habe ich es mir angelegen sein lassen, Sie aus einer unglücklichen Situation zu befreien. Da meine Bemühungen andernorts dringend erforderlich sind, ist es mir leider nicht möglich, Sie weiterhin zu begleiten, doch hoffe ich zuversichtlich auf eine weitere fruchtbare Begegnung in nicht allzu ferner Zukunft.
    In der Zwischenzeit möchte ich darauf aufmerksam machen, dass jener aus Eurer Mitte, dessen fahrlässige Art der Tierhaltung für die derzeitigen misslichen Zustände in der Stadt verantwortlich ist, feststellen wird, dass er das Ziel unerwünschter Anhänglichkeit von Seiten seines entflohenen Zöglings ist.
    Als großer Bewunderer Ihrer Webkunst ersuche ich dringend darum, mit gleicher schöpferischer Kraft an dem Werk fortzuschaffen.
     
    Ihr sehr ergebener Diener,
    W.
     
    Isaac hob langsam den Blick von der Zeitung und schaute Derkhan an.
    »Die Götter allein wissen, was die übrigen Leser des Blickwinkels davon halten mögen«, bemerkte er ehrfurchtsvoll. »Dammich, dieser verflixte Arachnide hat verflucht große Macht!«
    Derkhan nickte. Sie seufzte. »Ich wünschte nur, ich könnte verstehen, warum er was tut …«
    »Das kann man nicht verstehen, Dee. Das ist zu hoch für uns.«
    »Aber du bist Wissenschaftler!« Ihre Stimme klang schrill, als wäre sie am Ende ihrer Nervenkraft. »Du musst etwas über diese Biester wissen. Du könntest wenigstens versuchen, uns zu übersetzen, was er meint.«
    Isaac las den Brief ein zweites Mal, klaubte das wenige aus seinem Gedächtnis, das er dort über Weber finden konnte.
    »Er tut einfach, was er tun muss, um – um das Netz zu verschönern«, sagte er unglücklich. Sein Blick fiel auf Derkhans schlimme Wunde und er schaute rasch zur Seite. »Man kann ihn nicht begreifen, er denkt nicht wie wir.« Während er sprach, kam ihm ein Gedanke. »Möglicherweise – möglicherweise ist das der Grund, weshalb Rudgutter ihn rekrutieren wollte. Falls er nicht denkt wie wir, ist er vielleicht immun gegen die Falter … Vielleicht ist er wie ein – ein Jagdhund …«
    Und Rudgutter hat die Kontrolle über ihn verloren. Er dachte an die Rufe des Bürgermeisters draußen. Der Weber lässt sich nicht kommandieren.
    Er konzentrierte sich wieder auf den Brief im Blickwinkel.
    »Diese Anspielung auf Webkunst …«
    Isaac kaute nachdenklich an der Unterlippe. »Damit ist das Weltnetz gemeint, oder nicht? Dann will er wahrscheinlich sagen, dass ihm gefällt, was wir – was wir in der Welt getan haben, oder in seinen Bildern ausgedrückt: wie wir am Netz ›gewebt‹ haben. Ich denke, aus dem Grund hat er uns aus der Patsche geholfen. Und dieser letzte Absatz …«
    Er las und seine Miene wurde starr.
    »Heiliger Jabber«, hauchte er. »Das ist das Gleiche, was Barbile zugestoßen ist …«
    Derkhan nickte ruckhaft. »Was hat sie noch gesagt? ›Es hat mich gewittert …‹ Meine Riesenraupe – sie hat die ganze Zeit im Dunstkreis meiner Gedanken und Träume gelebt … Sie kennt meine Witterung … Sie sucht nach mir!«
    Derkhan schaute ihn an. »Du wirst sie nicht abschütteln können, Isaac«, sagte sie still. »Wir müssen sie töten.«
    Wir hatte sie gesagt. Er empfand eine tiefe Dankbarkeit.
    »Bevor wir Pläne schmieden«, fuhr sie fort, »wäre da noch etwas. Etwas, wofür ich gern eine Erklärung hätte.« Sie zeigte auf die Nische gegenüber. Isaac spähte neugierig in das miasmatische Halbdunkel. Wenn er sich anstrengte, konnte er eine klobige, reglose Masse erkennen.
    Er wusste sofort, was es war. Er erinnerte sich an die erstaunliche Einmischung im Lagerhaus. Sein Herz schlug schneller.
    »Es wollte mit keinem anderen kommunizieren«, berichtete Derkhan. »Als wir merkten, dass es ebenfalls hier deponiert worden war, versuchten wir, mit ihm zu reden, fragten, was es getan hatte, aber es tat
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher