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Perdido Street Station 02 - Der Weber

Perdido Street Station 02 - Der Weber

Titel: Perdido Street Station 02 - Der Weber
Autoren: China Miéville
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die Augen auf.
    Das Netz war verschwunden.
    Benommen schaute er sich um. Er befand sich in einem Backsteingewölbe, kühl und feucht, aus dem Dunkeln kamen Tropfgeräusche.
    »Isaac? Bist du wach?«, fragte Derkhans Stimme.
    Isaac stützte sich auf die Ellenbogen. Er stöhnte. Sein Körper signalisierte Schmerzen unterschiedlicher Stärke und Beschaffenheit. Er fühlte sich wie durch den Wolf gedreht. Ein Stück neben ihm saß Derkhan auf einem gemauerten Sims. Sie lächelte ihn absolut freudlos an, eine furchteinflößende Grimasse.
    »Derkhan?« Seine Augen wurden groß. »Was hast du da an?«
    In dem blakenden Schein einer Qualm atmenden Öllampe leuchtete ein bauschiger, grell rosafarbener Morgenmantel mit kunterbunter Blütenstickerei. Derkhan schüttelte den Kopf.
    »Das weiß ich verdammt noch mal nicht«, antwortete sie bitter. »Ich erinnere mich nur noch an den Kerl mit dem Blitzwerfer, und dann bin ich hier in der Kanalisation aufgewacht, in diesem Kostüm. Und da ist noch was …« Bei den letzten Worten schwankte ihre Stimme. Sie strich sich an einer Seite das Haar aus dem Gesicht. Isaac stieß beim Anblick der schwarzroten, nässenden Blutkrusten zischend den Atem zwischen den Zähnen hindurch. »Mein verfluchtes Ohr ist weg.« Sie ließ das Haar aus den zitternden Fingern wieder über die Wunde gleiten. »Lemuel sagt, ein – ein Weber hätte uns hergebracht. Übrigens hast du dein eigenes Kostüm noch nicht bewundert.«
    Isaac rieb sich über das Gesicht und setzte sich aufrecht hin. Er hatte Mühe, die Benommenheit zu verscheuchen, die sein Denken lähmte.
    »Noch mal von vorn«, sagte er. »Wo sind wir? In der Kanalisation? Wo sind Lemuel? Yagharek? Und …« Lublamai, hatte er sagen wollen, aber Vermishanks Worte fielen ihm ein, und mit kaltem Entsetzen erinnerte er sich daran, dass Lublamai unwiderbringlich verloren war. Der Satz blieb unvollendet in der Luft hängen.
    Er musterte seine Umgebung.
    Er und Derkhan saßen in einer gut halbmeterbreiten Nische in der Wand einer fensterlosen kleinen Backsteinkammer. Sie maß ungefähr drei mal drei Meter – die gegenüberliegende Wand war hinter einem Vorhang wabernder Schatten nur zu ahnen, die Decke befand sich gut anderthalb Meter über seinem Kopf. In jeder der vier Wände der Kammer befand sich eine runde Tunnelöffnung von etwa einem Meter zwanzig Durchmesser.
    Der Boden der Kammer stand unter Wasser, unmöglich zu sagen, wie tief. Nach winzigen Strudeln zu urteilen, kam es aus mindestens zwei der Tunnel hereingeströmt und zog träge zu den anderen wieder hinaus.
    Die Mauern trugen eine dicke, glitschige Haut aus Schleim und Fäulnis. Ein satter Gestank nach Kloake hing in der Luft.
    Isaac schaute an sich hinunter und verzog erstaunt das Gesicht. Er steckte in einem piekfeinen Anzug mit Krawatte, ein dunkler, hervorragend geschnittener Dreiteiler, dessen sich auch ein Parlamentsabgeordneter nicht geschämt hätte. Isaac wusste zuverlässig, dass er nicht aus seinem Besitz stammte. Neben ihm, ramponiert und dreckig, stand seine Reisetasche.
    Unversehens überfiel ihn eine weitere Erinnerung, an einen grellen Schmerz und Blut. Mit angehaltenem Atem hob er die Hand zu seinem Gesicht. Als seine Finger über die Wange nach hinten tasteten, atmete er schnaufend aus. Sein linkes Ohr war nicht mehr da.
    Ängstlich befühlte er die Stelle, in der Erwartung nasses, zerrissenes Fleisch zu finden oder schorfige Verkrustungen. Stattdessen, anders als bei Derkhan, war da eine gut verheilte Narbe, fast glatte Haut. Keine Schmerzen. Als läge der Verlust des Ohres schon Jahre zurück. Er runzelte die Stirn und schnippte versuchshalber neben der linken Kopfseite mit den Fingern. Das Gehör war erhalten geblieben, nur die Fähigkeit, Geräusche zu orten, vermutlich eingeschränkt.
    Derkhan beobachtete ihn, sie zitterte am ganzen Leib.
    »Dieser Weber hat es für richtig gehalten, dein Ohr zu heilen und auch Lemuels. Aber meins nicht …« Ihre Stimme klang bedrückt und elend. »Obwohl«, fügte sie hinzu, »er die Blutung der Wunden von diesem – diesem verdammten Blitzwerfer gestillt hat.« Sie musterte Isaac eine Weile schweigend. »Dann hat Lemuel also nicht fantasiert oder gelogen oder geträumt«, meinte sie ruhig. »Du behauptest, ein Weber wäre erschienen und hätte uns gerettet?«
    Isaac nickte, als könnte er es selbst nicht glauben. »Ich weiß nicht, weshalb – ich habe keine Ahnung, weshalb –, aber so ist es.« Er ließ die Gedanken
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