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Perdido Street Station 02 - Der Weber

Perdido Street Station 02 - Der Weber

Titel: Perdido Street Station 02 - Der Weber
Autoren: China Miéville
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ist schlecht. Nur sehr wenige kennen die Wahrheit, aber alle wissen, dass sie nachts nicht schlafen können, aus Angst vor ihren Träumen. Wir legen eine Karte der Albtraumhochburgen an, ob sich nicht ein Muster erkennen lässt, aus dem man irgendwelche Rückschlüsse auf die Falter ziehen kann. In der vergangenen Woche war ein Anstieg von Gewaltverbrechen zu verzeichnen. Nichts Großes oder Geplantes: Überfälle aus heiterem Himmel, Morde im Affekt, Schlägereien. Die Nerven«, sagte sie betont, »liegen blank. Die Bürger sind schreckhaft und verunsichert.«
    Nach einer Zäsur des Schweigens fügte sie hinzu: »Heute Nachmittag wird man Ihnen die Frucht einiger wissenschaftlicher Bemühungen präsentieren. Ich habe von unserem Forschungsteam einen Helm entwickeln lassen, der verhindert, dass einem die Falterfäkalien ins Hirn sickern, während man schläft. Man sieht albern aus im Bett, aber wenigstens findet man Erholung.« Sie unterbrach sich, als sie Rudgutter mehrmals heftig blinzeln sah. »Wie geht es Ihren Augen?«
    Rudgutter schüttelte den Kopf. »Werden schlechter«, meinte er bekümmert. »Wir kriegen das Problem der Abstoßung einfach nicht in den Griff. Zeit für ein neues Paar.«
     
    Blass und mit verquollenen Augen machten die Bürger New Crobuzons sich auf den Weg zur Arbeit, schlecht gelaunt und lustlos.
    In den Kelltree-Docks wurde der gewaltsam beendete Streik totgeschwiegen. Die Blessuren der Vodyanoi-Docker verheilten. Wie eh und je bargen sie versunkene Ladung aus den schmutzigen Fluten, bugsierten Schiffe an knapp bemessene Liegeplätze an den Entladekais. Untereinander flüsterten sie über das Verschwinden der Organisatoren, der Streikführer.
    Ihre menschlichen Kollegen betrachteten die geschlagenen Xenianer mit gemischten Gefühlen.
    Die aufgeblähten Luftschiffe patrouillierten in unermüdlicher, behäbiger Bedrohlichkeit am Himmel.
    Aus nichtigsten Anlässen entbrannte Streit. Schlägereien waren an der Tagesordnung. Das nächtliche Ungemach reckte unsichtbare Arme und forderte Opfer aus der Welt des Lichts.
    In der Beckley-Eisenhütte in Gross Coil quälte ein übermüdeter Kranfahrer sich mit Erinnerungen an die Schreckensvisionen, die in der vergangenen Nacht seinen Schlaf vergiftet hatten. Er schauderte, nur kurz, doch es genügte, die Steuerung zu verreißen. Die gewaltige, dampfbetriebene Maschine entledigte sich eine Sekunde zu früh ihrer Ladung aus flüssigem Eisen. Sie schwappte als weiß glühende Flut über den Rand des Kessels und auf die bereitstehenden Arbeiter. Schreiend verschwanden sie in der feurigen Kaskade.
    Auf den Dächern der himmelhohen, unfertig gebliebenen Betonobelisken in Spatters entzündeten die Stadtgaruda des Nachts lodernde Feuer. Sie schlugen auf Gongs und große Pfannen, grölten obszöne Lieder und stießen heisere Schreie aus. Charlie, der Boss, sagte ihnen, das würde die bösen Geister von ihren Horsten fern halten. Die fliegenden Ungeheuer. Die Dämonen, die in die Stadt gekommen waren, um den Lebenden die Seele auszutrinken.
    Ein Schatten hatte sich auf die übermütige Boheme von Salacus Fields gesenkt. Die furchtbaren Nachtgesichte beflügelten manche Künstler zu manischer Schaffenswut. Eine Ausstellung war geplant: Zeugnisse aus einer verstörten Stadt. Es sollte eine multiple Präsentation sein, Malerei, Bildhauerei, Tonwerke, inspiriert von dem Morast aus schweren Träumen, in dem die Stadt versank.
    Angst lag in der Luft, Scheu vor der Nennung bestimmter Namen. Lin und Isaac, die Verschwundenen. Sie auszusprechen, hieße einzugestehen, dass ihnen etwas zugestoßen sein könnte, dass sie vielleicht nicht nur beschäftigt waren, dass ihr nachdrückliches, unerklärtes Fernbleiben von Orten, wo man sie häufig anzutreffen pflegte, tragische Gründe haben könnte.
    Die Nachtmahre durchbrachen die Membrane des Schlafs. Sie stahlen sich in den Alltag hinüber, in die wachende Welt, ließen Worte auf den Lippen verdorren und Freundschaften erkalten.
     
    Isaacs Erwachen führte durch den Mahlstrom der Erinnerung – der Erinnerung an die unbeschreibliche Flucht der vergangenen Nacht. Seine Lider zuckten, aber sie blieben geschlossen.
    Sein Atem ging stockend.
    Bild um Bild tauchte aus seinem Gedächtnis auf. Seidenfäden von der Dicke einer Lebensspanne. Lebendiges kroch verstohlen an verknüpften Fasern entlang. Hinter einem grandiosen Palimpsest bunter Spinngewebe eine ungeheure, zeitlose, grenzenlose Masse von Nichts …
    Entsetzt riss er
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