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Pedro Juan Gutiérrez

Pedro Juan Gutiérrez

Titel: Pedro Juan Gutiérrez
Autoren: Schmutzige Havanna Trilogie
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zensiert wurde. Das ängstigte mich zunehmend, denn ich kam mir von Tag zu Tag mehr wie ein elender Söldner vor, der sich seine Tagesration Arschtritte abholte.
    Dann kehrte sie nach New York zurück, denn sie wollte Aufmerksamkeit und Gehör finden. Wie alle. Niemand lässt sich gerne zu Dunkelheit und Schweigen verdammen. Alle wollen gesehen und gehört werden - im Rampenlicht stehen. Wollen möglichst gekauft, eingestellt, verführt werden.
    Habe ich jetzt geschrieben: »alle wollen«? Das stimmt so nicht. Es muss heißen: »Wir alle wollen gesehen und gehört werden.«
    Sie war Bildhauerin und Malerin. In der Welt der Kunst spricht man von »hoch im Kurs stehen«. Und so was gilt als gut. Hoch im Kurs zu stehen, ist aufmunternd. Na, jedenfalls war sie dann wieder fort. Und mich setzte man vor die Tür, denn ich wurde immer frecher. Und freche Typen waren nicht gern gesehen. Es ist eine lange Geschichte, aber am Ende hieß es nur: »Wir brauchen vernünftige Leute, Leute mit viel Fingerspitzengefühl, keine Bauchtypen, denn das Land macht gerade eine sehr sensible und umwälzende Phase seiner Geschichte durch.«
    Ungefähr zur selben Zeit fand ich auch noch heraus, dass der Kerl mit der heiseren Säuferstimme gar kein Schwarzer war, sondern ein junger, gebildeter weißer Universitätsstudent. Aber das andere Bild hatte so gut zu ihm gepasst. Ich war danach sehr einsam. Das passiert immer, wenn man ohne jeden Vorbehalt liebt wie ein junger Spund. Dann haut deine Liebe für lange Zeit ab nach New York - geht sozusagen zum Teufel -, und du bleibst einsamer und verlorener zurück als ein Schiffbrüchiger in der Mitte des Golfstroms. Nur dass sich ein junger Spund ziemlich schnell wieder davon erholt, während sich einer wie ich mit vierundvierzig viel länger verrückt macht und fragt: »Verdammte Scheiße, nicht schon wieder. Warum bin ich so ein Idiot?« Die Sache mit Jacqueline war besonders schlimm, weil sie in meinem Selbstverständnis als Mann einen Rekord hielt: Einmal kam sie mit mir zwölfmal hintereinander. Sie wäre noch öfter gekommen, aber ich konnte mich nicht länger zurückhalten und kam selbst. Hätte ich mich zurückhalten können, wäre sie bestimmt zwanzigmal gekommen oder so. Normalerweise kam sie immer acht- oder zehnmal hintereinander. Den Rekord haben wir dann nicht mehr gebrochen. Wir genossen den Sex miteinander, weil wir glücklich waren. Die Sache mit den zwölf Orgasmen war keine Frage von Ehrgeiz, nur ein Spiel. Eine Art Sport, der jung und muskulös hielt. Ich sage immer: »Don't compete. Play.« Na, jedenfalls war Jacqueline viel zu fein, um 1994 in Havanna zu leben. Sie war in Manhattan geboren, und ein wildes Gemisch aus drei Generationen von Engländern, Italienern, Spaniern, Franzosen und Kubanern aus Santiago de Cuba, die sich über New Orleans und die ganze Karibik bis nach Venezuela und Kolumbien verstreut hatten. Eine verrückte Familie. Ihr Vater war ein Veteran des D-Day in der Normandie. Na, jedenfalls war sie viel zu kompliziert für einen einfachen Mann der Tropen wie mich. Dauernd sagte sie zu mir Dinge wie: »In Havanna gibt es keine feinen Leute mehr. Mit jedem Tag werden die Leute vulgärer und provinzieller und kleiden sich schlechter.« Irgendetwas stimmte da nicht. Entweder war es Jacquelines Eleganz oder das Proletige der Leute oder meine eigene Blödheit, denn ich fand alles in Ordnung und war ganz zufrieden, obwohl natürlich die Armut ständig größer wurde.
    Als ich dann allein war, hatte ich viel Zeit zum Nachdenken. Ich wohnte am schönsten Ort der Welt: in einem Zimmer auf dem Dach eines achtstöckigen Altbaus im Zentrum Havannas. Gegen Abend schenkte ich mir ein Glas sehr starken Rum auf Eis ein und schrieb knallharte Gedichte (manchmal teils knallhart, teils melancholisch), die dann überall verstreut herumlagen. Oder ich schrieb Briefe. Um diese Stunde wird alles golden, und ich genoss den Ausblick. Im Norden die Karibik, unberechenbar, mit Wasser aus Gold und Himmel. Im Süden und Osten die Altstadt, zerfressen von Zeit, Salpeter, Wind und Achtlosigkeit. Gen Westen sah man die modernen Hochhäuser der Neustadt. Jeder Stadtteil hatte seine ganz eigenen Menschen, Geräusche und Klänge. Ich trank gerne meinen Rum in dieser goldenen Dämmerung und sah dabei aus dem Fenster oder saß lange auf der Dachterrasse und sah hinunter auf die Hafeneinfahrt mit den alten mittelalterlichen Festungen aus blankem Stein, die im weichen Abendlicht noch schöner und
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