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Pauline Reage - Geschichte der O

Pauline Reage - Geschichte der O

Titel: Pauline Reage - Geschichte der O
Autoren: Administrator
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immer an, doch noch immer lastete der gleiche Gluthauch über der Erde. O ließ ihr Cape von den Schultern gleiten. Niemand würde sie sehen, kein Mensch war unterwegs. Nach weiteren zehn Minuten Fahrt, die an einem immergrünen Eichenwald über der einen Straßenseite entlangführte, bremste Sir Stephen vor einer langen Mauer. Beim Herannahen des Wagens öffnete sich ein Einfahrtstor. Sir Stephen parkte in einem Vorhof, während das Tor hinter ihm wieder geschlossen wurde, stieg aus, ließ Natalie und O aussteigen, die auf seinen Befehl Cape und Holzschuhe im Wagen zurückließen.
    Er öffnete die Tür zu einem Renaissance-Kreuzgang, der nur aus drei Galerien bestand, auf der vierten Seite ging der geflieste Innenhof in eine ebenfalls geflieste Terrasse über. Ein Dutzend Paare tanzte auf der Terrasse und im Hof, einige tief dekolletierte Frauen und Männer im weißen Smoking saßen an den kleinen, von Kerzen erleuchteten Tischen, der Plattenspieler stand unter der Galerie zur Linken, ein Büfett auf der rechten Seite.
    Aber der Mond gab genauso viel Licht wie die Kerzen und als er direkt auf O fiel, die von einem kleinen schwarzen Schatten Natalies vorwärtsgezogen wurde, hörten die Paare zu tanzen auf und die Männer, die an den Tischen saßen, erhoben sich.
    Der Kellner am Plattenspieler, der spürte, daß etwas im Gange war, drehte sich um und stellte vor Überraschung den Plattenspieler ab. O ging nicht mehr weiter, Sir Stephen, der unbeweglich zwei Schritte hinter ihr stand, wartete ebenfalls. Der Kommandeur schob die Leute beiseite, die sich um O geschart hatte und von denen einige bereits Fackeln herbeibrachten, um sie genauer zu sehen. »Wer ist sie«, fragten alle, »wem gehört sie?«
    »Ihnen, wenn Sie wünschen«, sagte er und zog Natalie und O zu einer Ecke der Terrasse, wo eine Steinbank, mit einer Faltmatratze bedeckt, an einem Mäuerchen stand.
    Als O sich gesetzt hatte, den Rücken an der Mauer, die Hände auf den Knien ruhend, Natalie, die noch immer die Kette hielt, zur Linken auf dem Boden ihr zu Füßen, drehte er sich von ihr weg. O suchte mit den Augen Sir Stephen und sah ihn nicht sofort. Dann erspähte sie ihn in einem Liegesessel in der anderen Ecke der Terrasse. Er konnte sie sehen, sie war beruhigt. Die Musik hatte wieder eingesetzt, die Tänzer tanzten wieder. Einige Paare näherten sich ihr zuerst wie zufällig im Vorübertanzen, dann eines von ihnen ganz unverhohlen, die Frau zog den Mann mit sich.
    O starrte sie mit ihren schwarzumrandeten Augen an, die unter dem Gefieder weit aufgerissen waren wie die Augen des Nachtvogels, den sie darstellte, und die Illusion war so vollständig, daß niemand auch nur auf den Gedanken kam, eine Frage zu stellen, ganz als wäre sie wirklich ein Käuzchen, taub gegen die menschliche Sprache und stumm.
    Von Mitternacht bis zum ersten Morgenlicht, das gegen fünf Uhr den Himmel im Osten bleichte, während das Licht des im Westen untergehenden Mondes schwächer wurde, umkreiste man sie immer wieder, immer wieder öffnete man ihre Knie, hob die Kette hoch, brachte einen dieser zweiarmigen provenzalischen Leuchter herbei - und sie spürte, wie die Kerzenflamme ihr die Innenseite der Schenkel wärmte - um zu sehen, wie die Kette an ihr befestigt war; ein betrunkener Amerikaner faßte sogar lachend an das Ende, doch als ihm klar wurde, daß seine Hand das Fleisch gepackt hielt und das Eisen, das dieses Fleisch durchdrang, wurde er plötzlich nüchtern und O sah in seinem Gesicht den gleichen Abscheu und die gleiche Verachtung, die sie bereits im Gesicht des jungen Mädchens im Kosmetiksalons gesehen hatte; er verschwand.
    Ein sehr junges Mädchen mit nackten Schultern und einem winzigen Perlenhalsband, in einem weißen Debütantinnenkleid mit zwei Teerosen an der Taille, kleinen Goldsandalen an den Füßen, wurde von einem jungen Mann aufgefordert, sich dicht neben O an ihre rechte Seite zu setzen, dann nahm er ihre Hand, zwang sie, Os Brüste zu streicheln, die unter der leichten kühlen Hand erbebten, Os Schoß zu berühren und den Ring und das Loch, durch das der Ring geschoben war, die Kleine gehorchte schweigend und als der junge Mann ihr sagte, er werde mit ihr das gleiche machen, schreckte sie nicht zurück.
    Doch selbst diejenigen, die so über O verfügten, die sie wie ein Vorführmodell behandelten oder wie ein Demonstrationsobjekt, richteten nicht ein einziges Mal das Wort an sie. War sie denn eine Steinfigur, eine Wachspuppe, ein Geschöpf aus
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