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Paul ohne Jacob

Paul ohne Jacob

Titel: Paul ohne Jacob
Autoren: Paula Fox
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    Ich ging an ihm vorbei, so schnell ich nur konnte. Zum Glück kam er mir nicht hinterher. Als ich zu einem wackeligen, baufälligen Pier kam, der weit über den Hudson hinausführte, ließ ich den Krebs ins Wasser fallen. Er verschwand. Hoffentlich schwimmt er jetzt wieder zur Chesapeake Bay.
    Der andere Brief, den Paul immer wieder hören wollte, handelte von einer neuen Freundschaft.
    Ich kaufe mir meine Zeitung an einem Kiosk, zu dem ich von meinem Studio ein Stück den Häuserblock entlanggehen muss. Vor ein paar Wochen entdeckte ich einen neuen Mann hinter der Theke. Seine Haut hat die Farbe von dem dunklen griechischen Honig, den Du so gern isst. Und wenn er lächelt, leuchten seine braunen Augen. Er hat eine melodische Stimme und einen prächtigen Schnurrbart und er heißt Nawaz. Zuerst haben wir nur Guten Morgen gesagt, dann fingen wir an, ein bisschen übers Wetter und das Verkehrschaos zu reden. Und schon bald erzählten wir uns gegenseitig persönliche Dinge aus unserem Leben. Er ist in Islamabad zur Welt gekommen, einer Stadt in Pakistan, und er musste feststellen, dass sieben Brüder schon vor ihm angekommen waren. Stell Dir das mal vor!
    Eines Tages, als sein Cousin ihm dabei half, die Sonntagszeitungen zu ordnen, lud ich ihn auf einen Kaffee ein. Das schien ihn sehr zu freuen. Wir gingen in ein nettes, ziemlich dunkles kleines italienisches Café und verbrachten ungefähr zwanzig Minuten damit, so allerhand über einander zu erfahren. Jetzt denke ich jeden Morgen schon beim Aufstehen an Nawaz und daran, was für interessante Sachen er mir erzählen wird, wenn ich die Zeitung kaufe.
    Es war komisch, aber wenn Paul und sein Großvater zusammen waren, sprachen sie nie über die Briefe. Paul schrieb Grandpa nicht zurück. Dazu hätte er seiner Mutter oder seinem Vater den Brief diktieren müssen. Was er hätte sagen wollen, handelte meistens von Jacob. Dass er größer wurde, sich sonst aber nicht sehr veränderte; dass er heulte und plärrte und seine große Zunge rausstreckte, die wie ein Kaugummi aussah; dass er keine Ahnung davon hatte, wie er mit Paul spielen sollte; dass Mom abends nach dem Essen nicht mehr Klavier spielte, weil Jacob davon aufwachen würde; dass sie ihn dauernd zu irgendwelchen Ärzten schleppten und dass Paul mitkommen und in Wartezimmern herumsitzen musste, wo er tagelang – so kam es ihm jedenfalls vor – zerfledderte Zeitschriften im Schoß hielt und auf sie hinunterstarrte.
    Aber er schrieb Briefe in seinem Kopf, und als er in der dritten Klasse war und Jacob stehen und laufen gelernt hatte und sogar ein paar Wörter sprechen konnte, hätte Paul Grandpa durchaus schreiben können. Aber als es so weit war, wollte er kein Wort mehr über Jacob schreiben.
    Die ganze Zeit, während er lesen und schreiben lernte, hatte er sich beigebracht, nicht an Jacob zu denken. Das war ganz leicht, wenn er in der Schule war oder einen Freund besuchte oder etwas mit Grandpa unternahm. Aber es war schwer, wenn er zu Hause war und Jacob wie ein Springteufel überall da auftauchte, wo Paul hinging.
    Besonders schwer war es auf der Feier zu Pauls achtem Geburtstag gewesen. Am frühen Nachmittag war der Ausläufer eines September-Hurrikans über die Stadt hereingebrochen. Am Himmel brodelten schwarze Wolken. Windböen und heftiger Regen brachten die Fenster zum Klappern. Von den sechs Schulfreunden, die er eingeladen hatte, kam kein einziger. Noch nicht mal Grandpa ließ sich blicken. Im Haus fiel der Strom aus und der Tag wurde so finster wie die Nacht.
    Aber Jacob hatte gequietscht und gelacht und mit seinen dicken Händen Beifall geklatscht, als fände der tobende Sturm ihm zu Ehren statt. Soweit sich Paul erinnerte, war es das erste Mal, dass er »auf Jacob aufpassen« sollte, während seine Eltern Folie auf alle Fenster klebten, damit die Scherben daran haften blieben, falls die Scheibe zu Bruch ging. Dafür brauchten sie nicht mehr als eine Dreiviertelstunde, aber Paul war schon nahe am Durchdrehen, weil Jacob plapperte und in seiner eigenen Sprache sang. Es war fast so, als wären sie beide allein in der Wohnung und Jacob wäre eine Art menschliches Unwetter, das mit Donnergetöse und brausendem Wind über Paul hereinbrach.
    Der Sturm legte sich. Der Regen ließ nach. Die Lichter gingen wieder an. Der Hurrikan verzog sich aufs Meer hinaus. Für Geburtstagsgäste war es jetzt schon zu spät. Seine Mutter setzte sich aufs Sofa und sah Paul mit
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