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Paul ohne Jacob

Paul ohne Jacob

Titel: Paul ohne Jacob
Autoren: Paula Fox
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er verbrachte nur die eine Hälfte seiner Stunde auf dem Klavierhocker und die andere Hälfte fern davon, immer auf dem Sprung in Richtung Tür.
    Paul stellte die letzten Schachfiguren für das nächste Spiel auf. Mom, mit dem jetzt wieder schlafenden Jacob im Arm, kehrte ins Wohnzimmer zurück und Daddy kam hinterher. Sie legte das Baby aufs Sofa.
    Paul stand von seinem Stuhl auf, durchquerte das Zimmer und starrte auf Jacob hinunter.
    Sein Gesicht war ein runder Knubbel, so wie die meisten Babygesichter, die Paul gesehen hatte. Er griff nach der Decke, wollte sie wegziehen und nachschauen, ob Jacob ein Kinn und einen Mund hatte wie alle anderen Kinder.
    »Nicht!«, flüsterte seine Mutter. »Du weckst ihn sonst auf.«
    »Ich hab Hunger«, sagte Paul.
    Die drei Menschen, die ihn sonst immer hörten, achteten nicht darauf. Sie schauten zu Jacob hin.
    »Ich hab Hunger!«, wiederholte Paul, diesmal schon etwas lauter.
    »Du hast vor einer Stunde gefrühstückt«, sagte Grandpa.
    »Hol dir einen Apfel«, sagte sein Vater.
    »W ir müssen ihn jetzt hinlegen«, sagte Mom. Ihn. Den da. Er würde in Pauls altem Kinderbett schlafen, an dem die weiße Farbe von den Gitterstäben abblätterte.
    Sie nahm Jacob vom Sofa hoch. Die beiden Männer gingen hinter ihr her ins Elternschlafzimmer.
    Paul wich bis zum Flügel zurück, ließ sich auf alle viere nieder und kroch darunter. Er hockte sich im Schneidersitz auf den Boden, ließ den Kopf hängen und wartete darauf, dass Daddy kam und ihn holte, wie er es immer machte. Dabei lachte er und bog Pauls Beine gerade, zog ihn an den Füßen hervor, bis Paul in sein Lachen mit einstimmte.
    Daddy kam aber nicht.
    Paul konnte hören, wie die drei sich über die Einkäufe fürs Mittagessen und Abendessen unterhielten, über ein kaputtes Rollo am Wohnzimmerfenster und über ihn. Den da.
    Plötzlich ertönte ein durchdringendes Geschrei.
    »Oh!«, rief seine Mutter.
    »Er ist aufgewacht!«, rief sein Vater.
    »W as für eine Lunge!«, sagte Grandpa.
    Paul hielt sich die Ohren zu. Als er kurz darauf die Hände von den Ohren nahm, war es im Wohnzimmer still, die Schlafzimmertür war zu.
    Er krabbelte unter dem Flügel hervor. Die Erwachsenen waren davongeflogen wie die Tauben, die Paul im Park aufscheuchte, wenn Mom gerade nicht aufpasste.
    Die kleine blaue Decke, die Mom heruntergefallen war, lag auf dem Fußboden. Zum ersten Mal in seinem Leben fühlte Paul sich in der Wohnung einsam. Sie war zu groß. Er kroch wieder unter den Flügel und wartete darauf, dass jemand kam.
    Grandpa kam aus dem Schlafzimmer.
    »Tauch nicht in deinem Klavierhaus unter«, sagte er und ließ sich in einem Sessel nieder. »Komm her und setz dich auf meinen Schoß.«
    Paul merkte sehr wohl, dass das keine gewöhnliche Bitte war. Aber er ging zu ihm hin und kletterte auf seinen Schoß. Nach einer Weile legte er den Kopf an Grandpas Brust.
    »Ich kann ihn nicht so besonders leiden«, sagte er.
    »Du kennst ihn doch noch gar nicht. Ihr seid jetzt zu viert. Das bringt große Veränderungen mit sich. Aber nach einiger Zeit wird dir das gar nicht mehr auffallen. Dann kommt dir alles ganz normal und alltäglich vor.«
    »Aber er ist anders!«, platzte es aus Paul heraus.
    »Ja«, bestätigte Grandpa. »Und das, was an ihm anders ist, wird sich in dein Leben einfügen, so wie ein flacher Stein ins Wasser gleitet. Auch das wird dir dann gar nicht mehr auffallen.«
    »Es fällt mir aber auf«, sagte Paul.
    Grandpa lächelte. »Ich muss jetzt bald weg. Lindy wird mich schon vermissen.«
    »Lindy ist doch bloß ein Kater«, sagte Paul.
    »Und ich bin bloß ein Grandpa, du bist bloß ein Junge. Von solchen Dingen weiß Lindy nichts. Er wartet aber auf seinen Mittagsimbiss. Wie spät es ist, weiß er nämlich genau.«
    Daddy und Mom kamen ins Wohnzimmer.
    »Du hast mir gefehlt«, sagte Mom und lächelte Paul an.
    »Er war so brav, während du im Krankenhaus warst«, sagte Daddy.
    Seine Eltern und Grandpa füllten das Zimmer, das noch wenige Minuten zuvor so leer gewesen war. Es konnte noch ein Tag wie jeder andere daraus werden. Aber Paul wusste schon, dass das nicht der Fall sein würde.
    »Er darf aber nicht mit meinen Sachen spielen«, sagte er entschieden.
    »Ach, Paul!«, sagte seine Mutter vorwurfsvoll.
    Grandpa hob ihn von seinem Schoß und stellte ihn auf den Boden. »Du darfst mit meinen Sachen spielen«, sagte er.
    Paul stellte sich die Glasvitrine in Grandpas Studio-Wohnung vor. In jedem Fach standen kleine Kisten und
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