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Paul, mein grosser Bruder

Paul, mein grosser Bruder

Titel: Paul, mein grosser Bruder
Autoren: Hakan Lindquist
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Messing. Ich fühlte die geprägten Buchstaben auf einem der Knöpfe: Lee . Die Nähte waren golden. Ich folgte ihnen mit meinem Zeigefinger entlang der Knopfleiste und den Brusttaschen.
    Die Brusttaschen!
    Ich öffnete die erste. Irgendwas steckte da drin. Ich holte es hervor. Es war ein leeres Kaugummipäckchen einer Marke, die ich noch nie gesehen hatte. Das zusammengeknüllte Papier roch noch immer nach Süßem.
    Ich öffnete die andere Tasche. Ich zuckte zusammen, als ich fühlte, dass ein großes Stück Papier in der Tasche steckte. Es war zusammengefaltet, und ich konnte erkennen, dass es irgendwann einmal mit einem Stück Klebestreifen versiegelt worden war; die Oberfläche war an der Stelle, wo der Klebestreifen gewesen war, vergilbt. Vorsichtig faltete ich es auseinander.
    Es war ein Brief.
    Ein Brief in einer leicht geneigten Handschrift und mit roter Tinte geschrieben.
     
    Hallo Princi!
     
    Ich hätte nicht gedacht, dass du auf meinen Brief antworten würdest. Ich war wahnsinnig froh, als ich deinen Brief im Briefkasten fand! Mama und Papa beobachteten mich, als ich ihn während des Frühstücks las. Sie lachten und fragten, ob ich einen Liebesbrief bekommen hätte, aber sie glaubten mir nicht, als ich antwortete. Ich lachte nur. Am Samstag beginnen die Ferien. Mama und Papa fahren ins Ferienhaus, aber ich bleibe das ganze Wochenende in der Stadt. Allein! Du kommst doch vorbei? Frag deine Eltern, ob du bei mir übernachten darfst. Antworte schnell. (Ruf an!) Ich will, dass du kommst. Denn ich liebe dich.
    P.S.
     
    Ich drehte das Papier um, aber die andere Seite war leer. Ich las den Brief noch einmal. Wer war Princi? Und warum gab es weder ein Postskriptum noch einen Absender? Und warum lag der Brief an Princi in der Jackentasche meines Bruders?
    Ich legte den Brief in meine Schatzkiste und hängte die Jacke zurück.
     
    »Kennt ihr jemanden, der Princi heißt ?« , fragte ich meine Eltern beim Frühstück.
    »Princi? Das ist wohl ein ausländischer Name. Wird das so ausgesprochen ?«
    »Ich weiß nicht«, antwortete ich. »Ich habe ihn irgendwo gelesen .«
    »Nein, diesen Namen habe ich nie gehört«, sagte Mama. »Könnte es ein Wort sein? Prin ... Prinzip oder irgendwas in der Art?«
    »Nein«, sagte ich. »Es muss ein Name sein. Ich habe ihn irgendwo auf einem Brief gesehen .«
    »Also, ich weiß es nicht«, sagte Mama. »Aber schau doch mal in der Bücherei nach. Dort gibt es sicherlich ein Namensbuch, in dem du nachsehen kannst. Oder irgendein anderes Nachschlagewerk.«
    »Sicher, das haben sie bestimmt. Aber ich möchte es jetzt wissen, und sie machen nicht vor Montag auf .«
    »Ruf doch Daniel an !« , rief Mama. »Oder geh direkt zu ihm. Das würde ihn freuen. Er fragt immer nach dir. Ihr seht euch in letzter Zeit ja nicht mehr so häufig .«
    Papa sah sie gereizt an.
    »Findest du es wirklich eine gute Idee, dass er dorthin geht ?« , fragte er leise.
    Ich sah an ihren Augen, dass sie wütend wurde.
    »Was meinst du ?« , gab sie zurück. »Weshalb sollte das keine gute Idee sein? Daniel ist viel zu oft allein. Da ist es nur gut, dass Jonas ihn besuchen geht .«
    Papa wurde sauer und verstummte.
    Ich schwieg und wartete. Ich konnte nicht verstehen, warum er so besorgt um mich war. Das war er immer. Und besonders, wenn ich Daniel treffen wollte. Vielleicht glaubte er, Daniel würde mir Alkohol geben.
    »Ich bin der Meinung, du solltest hingehen«, sagte Mama. »Er würde sich sehr freuen .«
     
    Daniel und Mama kennen sich schon ihr ganzes Leben lang, sie sind in derselben Straße aufgewachsen. Ihre Kindheit verbrachten sie zusammen; sie haben miteinander gespielt, sind in dieselbe Schule gegangen, haben nebeneinander gewohnt und sich gegenseitig bei den Hausaufgaben geholfen, obwohl zwischen ihnen ein Jahr Altersunterschied bestand. Und als sie älter waren, sind sie abends immer in einen kleinen Jazz-Club in der Innenstadt gegangen. Dort hat Mama übrigens auch Papa kennengelernt.
    Jetzt bin ich vierzehn, und Daniel ist frühpensioniert. Mama erzählte, dass er schon immer viel getrunken hätte, als sie jung waren, aber einige Jahre vor meiner Geburt war es schlimmer geworden. Damals hatte er angefangen, jeden Tag zu trinken. »Allerdings hat er seine Arbeit immer gemacht«, sagte Mama jedes Mal, und Papa protestierte höhnisch: »Zur Arbeit gehen, obwohl man sturzbetrunken ist, heißt wohl nicht, seine Arbeit machen !« Und dann ging jedes Mal die Diskussion los.
    Erst als Daniel
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