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Paul Flemming 02 - Sieben Zentimeter

Titel: Paul Flemming 02 - Sieben Zentimeter
Autoren: Jan Beinßen
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Paul suchte in einer scharfen Kurve vergebens nach Halt. »Gestern habe ich Melonensuppe mit Kaisergranat aufgetischt«, redete Jan-Patrick ungerührt weiter. »Du hättest die Gesichter dieser verwöhnten Geschäftsleute sehen sollen, wie sie sich zu einem Lächeln hinreißen ließen, als sie kosteten und sich auf ihren Zungen die angenehme Süße von fruchtiger Melone mit der delikaten Salzigkeit des Granats vermischte.«
    »Und heute?«, erkundigte sich Paul, dem das Wasser im Mund zusammenlief.
    »Das kann ich dir erst sagen, wenn ich das aktuelle Warenangebot gesehen habe. Ich liebe es zu improvisieren. Deshalb kaufe ich lieber direkt beim Bauern statt im Großmarkt.« Dann verfinsterte sich seine Miene. »Manchmal frage ich mich allerdings, für wen ich mir die ganze Mühe überhaupt mache.«
    »Was willst du denn damit sagen?«, fragte Paul.
    Jan-Patrick richtete bei anhaltend hohem Tempo seinen Blick auf ihn und fuchtelte drohend mit dem Zeigefinger. »Wir züchten uns in unserer Fast-Food-Gesellschaft eine Generation der kulinarischen Analphabeten heran«, wetterte der Koch.
    »Von den vier Geschmacksrichtungen süß, sauer, salzig und bitter kennen die meisten Kids – also meine Kunden von morgen! – nur noch zwei: süß und salzig – mehr kommt in einem Hamburger nämlich nicht vor!«
    »In der Nürnberger Rostbratwurst aber schon?«, fragte Paul zunehmend beunruhigt wegen Jan-Patricks halsbrecherischen Fahrstils.
    Dieser schaute ihn zunächst verdutzt, dann beinahe ein wenig empört an. »Das lässt sich doch nicht vergleichen«, sagte er rigoros. »Die Rostbratwurst ist ein Kulturgut, und – ja – sie ist ein Geschmacksträger allererster Güte.«
    »Man kann sich das gar nicht vorstellen, wenn man bedenkt, wie viele zigtausend davon in einer Wurstfabrik wie bei den Wiesingers Tag für Tag über die Fließbänder rollen«, wagte Paul eine Provokation.
    Mit Erfolg: Jan-Patrick lief rot an, als er darauf einstieg: »Die Zusammensetzung der Original Nürnberger Rostbratwurst ist ebenso strikt geregelt wie ihre Herkunft ›Made in Nürnberg‹ – egal, ob jemand eine oder Millionen davon herstellt. Das ist Ehrensache. Und für den Fall, dass es jemand mit der Ehre nicht so genau nehmen sollte, gibt es den langen Arm des städtischen Rechtsamtes und des Schutzverbandes Nürnberger Bratwurst, die jeden Verstoß vor Gericht bringen und einstweilige Verfügungen erstreiten. Bisher immer mit Erfolg.« Er blickte Paul direkt in die Augen. »Glaube mir, unsere Wurst kann es mit jedem Hamburger dieser Welt aufnehmen.«
    Paul erwiderte seinen strengen Blick, doch dann musste er lachen. Zunächst wollte er es unterdrücken, doch dann prustete er los und hielt sich den Bauch, so sehr amüsierte ihn die verbissene Ernsthaftigkeit, die sein Freund an den Tag legte, wenn es ums Essen ging.
    Jan-Patrick, der das Tempo inzwischen wieder gedrosselt hatte, blieb gar nichts anderes übrig, als in Pauls Heiterkeit einzustimmen.
    »Zugegeben«, sagte Paul kichernd. »Diese kleinen Dinger sind wirklich unwiderstehlich lecker. Und noch mal zugegeben: Hans-Paul Wiesinger hat in guter Qualität produziert.«
    Jan-Patrick stimmte ihm nickend zu. Nachdenklicher geworden sagte Paul: »Seinem Sohn Andi traue ich es allerdings kaum zu, dieses Niveau halten zu können. Der scheint sich mehr für schnelle Autos und andere flotte Dinger zu interessieren.«
    Jan-Patrick protestierte erneut: »Was sind denn das für Vorverurteilungen?«, schalt er ihn. »Lass den Junior doch sein Geld genießen. Verdient hat er es jedenfalls.« Angesichts von Pauls offenkundiger Verwunderung erklärte er: »Andi hat die Geschäfte schon vor ein paar Jahren von seinem Vater übernommen. Der alte Herr war zwar nach wie vor der Eigentümer und hatte das letzte Wort bei Konzernentscheidungen, aber das Management des Betriebs und damit letztlich auch die Qualitätskontrolle lag bereits in Andis Händen. Der versteht sein Handwerk, glaube mir.«
    »Du nennst ihn beim Vornamen«, erkundigte sich Paul neugierig. »Kennt ihr euch näher?«
    Jan-Patrick tat die Sache mit jovialer Geste ab. »Na ja, man kennt sich eben. Der Goldene Ritter nimmt seit einiger Zeit Wiesinger-Würstchen ab, und wir sind ja nicht die schlechteste Adresse in Nürnberg, wie du weißt.«
    Das wusste Paul sehr wohl. Und er wusste nun auch, dass er eine reelle Chance hatte, mit den Wiesingers durch einen neuen Imageprospekt ins Geschäft zu kommen. In wenigen Worten weihte er Jan-Patrick in
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