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Patterson James

Patterson James

Titel: Patterson James
Autoren: Gruene Weihnacht
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sogar die Superstars der Werbebranche nicht mehr als runde vier Minuten zu
ihrer Verteidigung vorbringen. Man nennt das ein »Reel«, einen Zusammenschnitt der Werbespots einer Karriere, und
meiner ist vergilbt, verstaubt, womöglich gar verschimmelt.
    Trotzdem kann ich nicht leugnen, dass ich hier zumindest ein
paar gute Freunde gefunden habe, und der beste von allen ist
der Kerl, der mir bei meiner Rückkehr gleich als Erster über
den Weg läuft, Richard Bellistrano, der in den vergangenen
zehn Jahren im Käfig neben mir an den Gitterstäben rüttelte.
    Richard ist nicht nur der lustigste Mensch, den ich kenne,
sondern besitzt darüber hinaus auch noch die außerordentliche
Güte, mich immer mit der überwältigend großzügigen Versicherung zu begrüßen, dass, wie schlecht es mir auch gehen
mag, es ihm noch um ein Vielfaches schlechter gehe. Dazu
muss man jedoch sagen, dass Richard Niedergeschlagenheit
und Selbstzerfleischung wie die Luft zum Atmen braucht. Sie
sind seine älteste, unverwüstlichste Lachnummer. Sich Richard
als einen fröhlichen Menschen vorzustellen, ist, als ob man sich
eine Welt vorstellt, in der Gerechtigkeit und Verdienst regieren. Es ist völlig undenkbar. Und obwohl er, seit ich ihn kenne,
jeden Tag davon redet, zu kündigen, glaube ich nicht, dass er
jemals auch nur eine Nanosekunde lang ernsthaft daran gedacht hat. Wo sonst, wenn nicht in diesen unheiligen Hallen,
könnte er sich wohl derart abgewrackt und angeschissen vorkommen?
»Guten Morgen, Richard.«
     
»Leg dich bloß nicht mir an«, entgegnete er. »Ich hab’ eine
    Kotzlaune.«
»Wie waren die Ferien?«, frage ich.
»Hast du ›Nightmare on Elm Street, Teil IV‹, gesehen?«
Ich verbrachte den Morgen damit, an einer Werbeanzeige für
    wieder mal ein neues, wohlschmeckendes, dabei aber gesundes Kellogs-Müsli herumzubasteln – »Das kaut einen um« war
vermutlich noch mein bester Versuch – und ging dann mittagessen.
    Als ich zurückkam, saß unser »Pferdeschwänzchen«, Wunderknabe Mike Kidd, seines Zeichens Kreativ-Direktor der
Firma, auf meiner Couch. Das sah gar nicht gut aus. Wäre der
Sensenmann höchstpersönlich zu Besuch gekommen, es hätte
kaum schlimmer sein können. Der Hühncheneintopf vom
Mittagessen hob sich um ein paar Zentimeter in meinem Magen.
    Kidd wippte unbewusst mit seinen zierlichen, Gucci-beschuhten Füßen auf meinem Teppich herum; ob dies jedoch ein Ausdruck von Nervosität oder eher von Aufgedrehtheit war, ließ sich nicht beurteilen. Jedenfalls kam er
gleich zur Sache. Das ist seine Art, seine Stärke sozusagen.
»Travis, ich fürchte, wir müssen Sie gehen lassen«, sagte er.
    Wie jeder anderen Katastrophe, ob natürlichem oder sonstigem Ursprungs, haftet einer Kündigung etwas Unwirkliches
an. Das unvermittelte Hereinbrechen. Die vernichtenden Folgen. Die Endgültigkeit.
    Obwohl das hier mir passierte – MIR! –, kam ich mir vor wie
ein verdutzter Zuschauer, sonst nichts. Ich konnte ja doch nur
zusehen, zuhören und abwarten, bis alles vorbei war.
    Wie gerne würde ich Ihnen jetzt versichern, dass ich froh
darüber war. Schließlich zählte der Hass auf meine Arbeit zu
den wenigen Dingen in meinem Leben, die mich mit echter
Leidenschaft zu erfüllen vermochten. Wenn ich doch nur wenigstens ein bisschen Dankbarkeit dafür hätte empfinden
können, dass ich soeben den dringend benötigten Tritt in den
Hintern bekam. Aber in Wirklichkeit hatte ich maßlosen Schiss.
    Plötzlich jagten all die Ängste durch meinen Kopf, die mich
so lange daran gehindert hatten, auszusteigen. Schon mit zwei
Einkommen hatten wir nicht genug angespart. Was aber sollten wir jetzt anfangen? Wenn Noah erst groß war und aufs
College wollte, waren die Studiengebühren höchstwahrscheinlich auf 100 000 Dollar pro Jahr gestiegen. Ich hörte
kaum, was Kidd da vor sich hin murmelte, irgendetwas von
großzügiger Abfindung und dem tollen Vermittlungsservice
namens »Outplacement«, den ich jetzt in Anspruch nehmen
konnte.
    Was mich vor Wut kochen ließ, war die Tatsache, dass dieser
zu kurz geratene Mistkerl die Situation unverhohlen genoss.
Kidd kostete seine Machtdemonstration offenbar weidlich aus.
Vielleicht kam er sich dadurch schlauer vor. Attraktiver. Ein
paar Zentimeter größer.
    Ich hatte jetzt schon so lange geschwiegen, dass es sogar Kidd
allmählich unbehaglich zu werden schien auf der Couch. Vielleicht war ihm irgendetwas an meinem Gesichtsausdruck aufgefallen. Nicht, dass ich ihm eine reinhauen würde,
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