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Pater Anselm Bd. 2 - Die Gärten der Toten

Pater Anselm Bd. 2 - Die Gärten der Toten

Titel: Pater Anselm Bd. 2 - Die Gärten der Toten
Autoren: William Brodrick
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erkannt. Auf dem Friedhof fiel Nick während der Beerdigung ein, wie in seiner Kindheit ein Tag voller Enthüllungen häufig geendet hatte. Sie hatte sich auf sein Bett gesetzt und ihm übers Haar gestreichelt.
    »Keine Geheimnisse mehr?«, hatte sie geflüstert.
    »Nein.«
    Noch leiser: »Du kannst mir immer alles sagen.«
    Im Dunkeln hatte er sie mit vorsichtigen Kinderaugen angeschaut und die Einsicht gewonnen: Seine Mutter bekam viel, gab aber nichts.
     
    Wieso erkannte er das erst jetzt? Nick schlüpfte aus der Speisekammer. Als er in die Diele kam, ließ ein diskretes Hüsteln ihn herumfahren.
    »Es tut mir leid, aber ich weiß einfach nicht, was ich sagen soll. Scheußliche Sache, wenn Sie mich fragen.«

3
    ANSELM VERWAHRTE SEINE Socken in einer Perückendose. Sie war groß, verbeult und stammte noch aus seiner Anwaltszeit. Auf der Seite stand in Goldlettern sein Name. Die Perücke saß auf einer Platonbüste, die er mit diversem Krimskrams behalten hatte, als er Mönch wurde (ansonsten gehörten dazu seine Bücher und seine Jazzplattensammlung, die der Allgemeinheit zugute kamen). Die Dose war immer noch in Gebrauch. Anselm benutzte sie täglich, wie er es in jenem vorigen Leben getan hatte.
    Nach dem Mittagessen gesellte Anselm sich zu den anderen in den Aufenthaltsraum. Es war ein relativ wichtiger Augenblick, weil er zum ersten Mal in der Öffentlichkeit eine Brille trug. Er hatte sich für eine, wie er fand, bescheidene Hornbrille entschieden, aber Bruno war der Ansicht, er sähe aus wie eine Mischung aus Börsenmakler und Eule. Man hatte ihm gesagt, er solle sie ständig tragen. Leicht errötend setzte er sie auf und nahm sich eine Zeitung.
    Niemand merkte etwas, vielleicht weil die Anordnung der Stühle ihn von drei Gesprächen ausschloss. Rechts von ihm stellte Wilf schüchtern fest, dass Liszt sich als Entertainer durchaus mit Richard Clayderman vergleichen ließe, wenn man seinen Hang bedenke, gute Melodien anderer umzuschreiben; links von ihm hielt Cyril (lautstark) Vorträge über doppelte Buchführung; und ihm gegenüber suchte Bernard nach einem Wort, das sich auf »Mörder« reimte.
    »Wie wär’s mit Mörser?«
    »Wir sind doch keine Apotheke«, wandte jemand ein.
    »Nörgler.«
    »Ach«, schaltete Wilf sich quer rüber ein, »das ist nach der Regel ausdrücklich verboten.«
    Nörgeln. Aufbegehren des Herzens. Das konnte eine Gemeinschaft umbringen. Anselm versteckte sich hinter der erhobenen Zeitung und war in Gedanken bei der Beerdigung und seiner Perückendose. Elizabeth dürfte jetzt schon begraben sein, dachte er. Der Schlüssel lag in einem Briefumschlag unter den Socken. Er hatte ihn jeden Tag gesehen, bis er ihn schon fast nicht mehr wahrnahm. An diesem Morgen hatte Anselm ihn herausgefischt, da er wusste, dass die Beerdigung in Gang war. Auf einem Zettel stand die Adresse einer Sicherheitsfirma, die Safeschließfächer vermietete. Elizabeth hatte das Städtchen Sudbury in der Nähe von Larkwood gewählt. Er befingerte den Schlüssel und dachte über ihre Rücksichtnahme nach. Dann legte er ihn zurück und klappte entschlossen den Deckel zu.

4
    »SCHEUSSLICHE SACHE.«
    Nick drehte sich zu der Stimme um. Ein kleiner, eiförmiger Mann, der aus einem tristen Anzug quoll, grapschte eine Handvoll Cashewnüsse aus einer Schale und stopfte sie sich in den Mund wie Beruhigungspillen. Ein grauer, zerzauster Bart kroch über seine Wangen bis an schmale, feuchte Augen, die an einen geselligen, Männchen machenden Maulwurf erinnerten.
    »Ich bin Frank Wyecliffe, Anwalt.«
    »Schön, Sie kennen zu lernen.«
    »Ich habe Ihrer Mutter jahrein, jahraus Mandanten geschickt. Meistens Familiengemetzel.« Er kramte eine Visitenkarte heraus. Sie hatte Eselsohren.
    »Vielen Dank.«
    »Ich hatte keine Ahnung, dass sie ein schwaches Herz hatte. Keine Ahnung.«
    »Ich auch nicht.«
    »Wirklich nicht? Sie sind doch Arzt, oder?«
    »Ja.«
    Der Maulwurf schob ein paar Nüsse ein und kaute emsig.
    »Na ja, wenn ich das gewusst hätte, hätte ich es mir bei einigen Fällen, die ich ihr geschickt habe, besser überlegt.« Er stockte. »In erster Linie und vor allem hat sie ja die Anklage vertreten, obwohl sie in einigen denkwürdigen Fällen auch die Verteidigung übernommen hat.« Die kleinen Augen streiften Nick.
    »Ich nehme an, das wussten Sie?«
    »Nein.«
    »Ach.« Er schniefte. »Irgendwie kommt es einem einfach nicht richtig vor. Wenn man mich gefragt hätte, hätte ich gesagt, Ihre Mutter würde in den
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