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Paris ist eine Messe wert

Paris ist eine Messe wert

Titel: Paris ist eine Messe wert
Autoren: Merle Robert
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auszubreiten.
    »Holla, mein Herr Sekretär!« sagte ich, und der Zorn beflügelte meine Rede, »das nennst du ›mich vor dem königlichen Zelt erwarten‹, wie ich dich geheißen hatte?«
    »Das kam nur, Herr Baron«, sagte Miroul, und sein braunes Auge sprühte vor Freuden, während sein blaues ungerührt blieb, »weil Monsieur de Rosny mich ins Geheimnis zog, daß Euer Herr Vater hier im Lager ist, und mich ausschickte, ihn unverzüglich von Eurer Ankunft zu unterrichten.«
    »Baron?« fragte Mespech voller Staunen, »hat Euch der König von Frankreich zum Baron gemacht?«
    »Das hat er!« sagte ich stolz, denn vor niemandem auf der Welt, außer meiner Angelina, fühlte ich mich über diesen Titel so glücklich wie vor meinem Vater. »Ich hatte es Euch nur noch nicht geschrieben«, fuhr ich fort, »weil ich erst den Ernennungsbrief des Königs abwarten wollte. Aber jetzt ist es amtlich, und ich kann Euch sagen: Ich bin Baron von Siorac.«
    Worauf mein Vater rot wurde vor Freude darüber, daß der bürgerliche Name Siorac, den ihm sein Vater, Apotheker zu Rouen, in Ehren vererbt hatte, in der Person seines Zweitgeborenen zu solcher Würde gelangt war.
    »Fröhlich!« sagte mein Vater, »nun schneide uns tüchtig Brot und Schinken auf (beides war am Zeltmast aufgehängt, damit die Ratten nicht herankamen), und du, Miroul, entkorke mir zwei Flaschen. Beim Ochsenhorn, das muß gefeiert werden, so ein Titel und so ein Wiedersehen! Und Ihr, mein Herr Sohn, sagt mir nur erst, ehe Ihr mir Eure Heldentaten im Dienst des Königs erzählt: Wie geht es Eurem Bruder Samson und Catherine und Gertrude und Eurer Angelina und Quéribus, Giacomi, |18| Fogacer, kurzum allen, bis hin zum letzten Knecht von Montfort l’Amaury!«
    Was ich tat. Fröhlich hatte in der Zeltmitte einen niedrigen, kleinen Tisch gedeckt, woran mein Vater und ich auf Schemeln Knie an Knie saßen und emsig kauten, und jeweils zwischen zwei Schlucken berichtete ich, und meine Worte ergossen sich wie ein Strom in die unersättlichen Ohren meines Vaters. Ach, Leser! Wie gut ich mich dieser Mahlzeit entsinne, die ja viel mehr war als Speis und Trank, nämlich ein Mahl der großen Liebe, die meinen Vater und mich verband! Ich brauche nur die Augen zu schließen, und schon sehe ich alles vor mir und höre um uns das riesige Feldlager brausen, all das Kommen und Gehen von Stiefeln und Hufen, das Geknatter der grauen Zeltbahnen, die Rufe der Schweizer auf deutsch, der Unseren auf französisch, der Gascogner auf okzitanisch, Pferde wieherten, Maultiere schrien, es war ein unaufhörliches Tohuwabohu, und da und dort sah man durch die Zeltöffnung Töpfe auf Dreifüßen brodeln, und der Rauch der Holzfeuerchen stieg bis ins Unabsehbare in den klaren Himmel.
    Mein Vater, wie er mir da von Angesicht zu Angesicht gegenübersaß und mit seinen Augen an meinen hing, voller Begier, mich anzusehen und anzuhören, war in der Kinderzeit mein Held gewesen, er war mein Vorbild in der Jugend und wurde mir in reiferen Jahren zum Spiegel dessen, wie ich mir für mein künftiges Alter wünschte. Von seinen vier Kindern liebte er mich am meisten, weil ich ihm so ähnlich war. Und ich liebte ihn dafür, daß er mich mit dieser Ähnlichkeit beschenkt hatte. Er war ich, und ich war er, aber – und das war das Schönste dabei – um dreißig Jahre jünger. Gewiß hatte ich Onkel Sauveterre ob seiner hohen Tugenden verehrt, doch hätte ich ihn mehr geliebt, wären sie nicht ganz so hoch gewesen. Für den Onkel hießen Frauen nur Vergeudung und Untergang, und mich verschreckte die Härte, mit der er so die Hälfte des Menschengeschlechts von seiner Freundschaft ausschloß. Da waren Mespechs Unvollkommenheiten doch ermutigender. Er konnte keine Schönheit sehen, ohne daß es ihn danach gelüstete. Und nagte dies auch sehr an seinem hugenottischen Gewissen, so kam die Reue immer erst nach der Versuchung, zu spät, um ihn zu warnen, zu schwach, ihn von der Sünde abzuhalten. Und wenn ich meinen Vater so als Musterbild der stärksten |19| Tugenden und liebenswertesten Schwächen in einem betrachtete, konnte ich ihm nur den einen bitterlichen Vorwurf machen, daß er nach dem Naturgesetz vor mir sterben und mich in einer trostlosen Welt allein lassen würde.
    »Und Euer lieber Bruder?« unterbrach er mich, weil ihm mein Redefluß noch immer nicht schnell genug erschien. »Ihr sagt gar nichts von Samson! Seid Ihr einander nicht mehr so gut wie früher?«
    »Aber nein!«
    »Wie geht es ihm? Lebt
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