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Paradiessucher

Paradiessucher

Titel: Paradiessucher
Autoren: Rena Dumont
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dann nehmen sie mich nicht? Das glaub ich nicht.«
    »Woher weißt du, dass außer dir nur drei andere Mädchen dabei waren?«
    »Weiß ich. Ich kann zählen.«
    Meine Mutter fühlte sich in die Enge getrieben und wurde streitlustig. Ich bohrte weiter: »Vielleicht haben sie eine Frau genommen, die keine schriftliche Prüfung mehr abgeben musste.«
    Wir schwiegen.
    »Vielleicht haben sie eine Bessere genommen, die gar keine Prüfung abgeben musste«, sagte sie.
    »Das denkst du?«
    »Du glaubst nicht an mich, Mutter.«
    »Oh … doch, doch, doch. Ich glaube an dich! Mehr denn je!«, sagte sie schnell.
    Sie hatte ein schlechtes Gewissen bekommen. Das erkannte ich an den Runzeln auf ihrer Stirn. »Sie war sicherlich nicht besser … Wenn du willst, fahren wir noch mal hin und informieren uns, wer an deiner Stelle aufgenommen wurde. Willst du?«
    »Ja«, antwortete ich.
    Wir fuhren noch mal hin. Mit dem Fiat diesmal. Sechzig Kilometer Autobahn. Eine Weltreise. Da hatten wir das Auto gerade ein paar Monate, und die längste Reise war bisher nach Olomouc gegangen. Ums Eck.
    Auf dem Weg nach Brünn hatten wir eine Panne. Ein Riemen riss durch, zehn Kilometer hinter unserer Stadt. Mutter drehte fast durch, ich wollte trampen. Gott sei Dank half uns ein Vorbeifahrender. Mutter musste ihre Nylonstrumpfhose ausziehen, und sie wurde als Riemen verwendet – es war völlig grotesk. Später, als wir längst aus Brünn zurück waren, vergaßen wir die Nylonstrumpfhose und fuhren damit noch eine Weile.
    Die Ferien hatten bereits begonnen, das Konservatorium war wie ausgestorben. An eine Bürotür zu klopfen trauten wir uns nicht. Uns kleinen Kommunistinnen wurde von früh auf anerzogen, vor höheren Mächten oder Autoritäten Angst zu haben. Wie kämen wir jetzt dazu, an eine Tür zu klopfen, nach einer Information zu fragen! Nie! Plötzlich erblickten wir am Ende des Gangs eine schmale Gestalt. Ich kannte sie aus dem Fernsehen. Sie sah groß, wunderschön und selbstbewusst aus. Eine richtige Schauspielerin. Ihr Vater war so berühmt wie Karel Gott. Ich schilderte ihr meine Situation.
    »Die hat wahrscheinlich gar keine Prüfung gemacht«, meinte diese Studentin.
    »Wie – keine Prüfung?« Ich bewunderte sie. Manchmal guckte ich auf den Boden und betrachtete ihre schmalen Fesseln. Ihre großen blauen Augen strahlten, meine Stecknadelaugen wurden noch kleiner. Ein Jammer. Sie sprach in frechem Slang, und ich dachte ständig an all ihre Auftritte im Film.
    »Na, keine Prüfung«, lachte sie schelmisch. »Wahrscheinlich wurde sie protegiert. Was denkst du, dass dein Talent zählt?« Das Wort »Talent« kam ihr verächtlich über die Lippen.
    »Was heißt hier protegiert?«, fragte ich und überspielte meinen Zorn. Ich ahnte schon, worauf sie hinauswollte.
    »Mein Gott, bist du naiv! Sind deine Eltern papaláši ? Nein? Ja?«, sie warf einen Blick auf meine Mutter. »Weißt du überhaupt, was papaláši sind?« Ich schwieg, aber am liebsten hätte ich ihr ins Gesicht geschrien, dass mein Vater ein papaláš ist, und was für einer. Er ist überhaupt der größte papaláš der kommunistischen Partei, er ist so ein papaláš , dass er sogar Bananen und Westzigaretten bekommt! Die Partei liebt ihn! Mühsam sammelte ich mich.
    »Na ja, mein Vater arbeitet in der Politik, wir haben aber keinen Kontakt zu ihm.«
    »Na, dann wundere dich nicht«, antwortete die Studentin gelangweilt. »Der hätte für dich anrufen müssen.«
    Sie trug eine tolle Frisur. Eine Cleopatra-Frisur. In Rot. »Manche zahlen in Naturalien.«
    »Wie bitte?«
    »Manche zahlen in Naturalien! Bist du taub?«
    »Äh.«
    »Einer kam mit einem frisch geschlachteten Schwein.«
    »Nein!« Ich war entsetzt. Ich vergaß die Frisur, denn von einem frisch geschlachteten Schwein hatte ich noch nie gehört.
    »Na logisch!«, lachte sie genüsslich auf.
    So fuhren wir, schweigend unsere Brote essend, zurück nach Hause.
    »Schlachtest du nächstes Mal ein Schwein für mich, Mutter?« Sie lachte, verschluckte sich und baute fast einen Unfall.

PAPALÁŠI LESEN BRAVO
    Bei dem Wort papaláš werde ich noch wacher, als ich ohnehin schon bin. Draußen zwitschern bereits fröhlich die Vögel, es wird hell und ich bin wütend. Ich bin wütend auf den Schlaf, der spazieren gegangen ist, auf die Schauspielschule, auf die Schauspielerin, die wegen ihres berühmten Vaters Schauspielerin werden durfte, auf meine Mutter, die schlafen kann, und auf papaláši , das heißt meinen Vater, der mich
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